5. List
In den vorigen Kapiteln waren Mädchen und Frauen besprochen,
denen Pindar seine Teilnahme entgegenbringt, entweder bewundernd
oder doch bemitleidend. Nunmehr wollen wir untersuchen, ob es
in Pindars Dichtung auch Frauengestalten gibt, die er abschätzig
wertet und verurteilt. Der Tadel ist ja der preisenden Dichtgattung,
zu der die Epinikien gehören, innerlich fremd. Pindar hat aber einen
persönlichen besonderen Abscheu gegen Schmähungen. Er rückt
P. 2, 54ff. ausdrücklich von dem „‚tadelsüchtigen Archilochos‘“ ab.
Dort bezieht sich das Bekenntnis freilich auf Pindars Verhältnis
zu Hieron (vgl. Gundert S. 87). Aber wir sahen schon S. 66. 68 an
Koronis, daß der Dichter auch einer schuldbeladenen Gestalt des
Mythos Verstehen entgegenbringt, statt mit eifernden Worten zu
tadeln.
An einer Stelle meidet Pindar sichtlich die Erwähnung einer
Mordtat. Zu Beginn des zehnten nemeischen Gedichtes preist er
Argos. Unter einzelnen ägeral von Argivern wird V. 6 erwähnt
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Eigpos. Hypermestra irrte nicht vom guten Wege ab (den ihre argi-
vische Abkunft sie gehen hieß), sondern sie hielt das Schwert in der
Scheide, so ihren eigenen Willen durchsetzend (eig. das Schwert,
das für sich, anders als die andern Schwerter, abstimmte). Daß die
übrigen 49 Schwestern die ägyptischen Freier erstachen, sagt der
Dichter nicht. Das hätte den hohen Ton dieses Prooimion herab-
gestimmt. Dabei nennt er die 50 Töchter des Danaos gleich im ersten
Vers, aber nicht als die Frevlerinnen, die im Hades büßen müssen,
sondern als die „herrlich Thronenden‘‘, woraus Wilamowitz 427, 1
entnimmt, daß sie wie Hesiod Fr, 24 als Nymphen aufzufassen sind.
Wichtig ist für uns, daß Pindar die Bluttat der Mädchen umgeht
und Hypermestra lobt, weil sie sich treu blieb und nicht zur Mörderin
wurde. Sie traf selbständig ihre Entscheidung?). Die Liebe spielt bei
iy Vgl. Medeia S. 27.