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alterliche Idee eines aristokratisch-theokratischen Imperialismus
erscheint durch die philosophische, kirchliche, politische und soziale
Revolution der neuen Zeit überwunden.
Der neuen Zeit? Wir befinden uns eigentlich in der Über
gangszeit und wir alle leiden an ihren Mängeln — an der Halb
heit des Überganges; die neue Zeit wird erst anbrechen und wir
wollen hoffen, daß dieser Krieg, der die ganze Menschheit zur
Revision ihrer Geschichte und ihrer Strebungen zwingt, alle Na
tionen zur zielbewußten Arbeit für sich selbst und die ganze
Menscheit bringen wird. Die Geschichte, soweit wir sie kennen
und aus ihr lernen, dauert erst einige Jahrtausende — was be
deutet dies im Vergleich mit der endlosen Reihe von Jahrtausenden,
welche die Astronomen unserem Planeten in Aussicht stellen? Die
Menschheit steht tatsächlich erst am Anfang ihrer Entwicklung,
vom achtzehnten Jahrhundert angefangen erklären die Geschichts
philosophen aller Nationen die Zeit nach der großen Revolution
als den Beginn einer neuen Ära, einer neuen Zeit überhaupt.
Dieser Krieg und seine Schrecken werden unser Gewissen auf
rütteln und wir werden uns für die Menschlichkeit entscheiden.
Bei aller gesetzlichen Gebundenheit der historischen Ent
wicklung ist uns die Freiheit solcher Entscheidung nicht ge
nommen, der gesetzmäßige Determinismus ist kein passiver Fa
talismus. Volentem ducunt fata, nolentem trahunt . , . . ,
43. Bei aller wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit wird ein
philosophischer Versuch, den Krieg zu begreifen, von persön
lichen Elementen, persönlichen Sympathien und Antipathien nicht
frei sein.
Seit meiner Jugend war ich bestrebt, die kulturellen Errungen
schaften aller Nationen kennen zu lernen. Neben der Grundlage,
die ich meiner eigenen Nation verdanke, habe ich nicht nur die
klassische, sondern alle nationalen Kulturen der Hauptvölker der
Gegenwart studiert; auf deutschen Schulen erzogen, habe ich
fleißig und viel von Genies wie Lessing, Goethe, Herder und
anderen gelernt. Gleichzeitig war ich noch bemüht, in die fran
zösische und anglo-sächsische Geisteswelt einzudringen; ich ver
danke meine Schulung der französischen und englischen Philo
sophie (neben der klassischen, hauptsächlich der platonischen);
das Verständnis für die deutsche Philosophie, hauptsächlich für
Kant, ging mir erst später auf.