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Gegenteil, ein größeres; denn als im Jahre 1526 Böhmen sich mit
Österreich vereinigte, da stand Ungarn, wie bereits erwähnt, unter
türkischer Herrschaft, nur die Slowakei war frei. 1 )
Böhmen war schon damals und ist noch jetzt die sprichwört
liche „Perle Österreichs“, und die militärische Last sowie die
finanziellen Bürden sind den böhmischen Ländern aufgeladen; die
Tschechen, Slowaken und Österreicher mußten mit ihrem Blute
und ihrem Gelde das übrige Ungarn (das magyarische) befreien,
welches erst in den zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirt
schaftlich stärker und einflußreicher geworden ist. Die wirt
schaftliche Kraft Österreichs beruht in Wirklichkeit auf Böhmen.
Die zentralistische Konstitution von Österreich und der
Dualismus wurden vom tschechischen Volke rechtlich niemals
anerkannt — darin besteht eben der Kampf Böhmens gegen
die Habsburger und Österreich. Die Tschechen sind kraft ihres
zuletzt durch Kaiser Franz Joseph dreimal feierlich anerkannten
Rechtes, eine Nation und ein Staat mit voller Selbständigkeit. Die
österreichisch-magyarische Gewalt schafft kein Recht, und das
Recht eines Volkes unterliegt keiner Verjährung, solange das
Volk darum kämpft.
45b. In diesem Kriege haben die Tschechen als selbständiges
Volk auch selbständig gehandelt — sie folgten nicht dem treu
brüchigen Kaiser und stellten sich auf die Seite der Verbündeten.
Das tschechische Volk hat sich im Jahre 1526 die Habsburger
zu Königen gewählt, das tschechische Volk hat volles Recht
darauf, die Habsburger weiterhin nicht anzuerkennen, weil sie
der Nation die Treue gebrochen haben. Und die Treue haben
sie dadurch gebrochen, daß insbesondere Franz Joseph im Wider
spruche zu den feierlichen Versprechungen gehandelt und die
Rechte Böhmens verletzt hat; darum stand und steht das Volk
!) ln einem Brief an Helfi, den Redakteur des magyarischen Blattes
„Magyar Ujsäg“ gibt Ludwig Kossuth sub. 8. 11. 1871 folgende Er
klärung ab: „Zwischen den rechtlichen Ansprüchen, die die Grundlage
des Rechtes der Dynastie auf den ungarischen und böhmischen Thron
bilden, besteht keine bloße Analogie, sondern eine vollkommene Identi
tät. Diese ist ebensosehr in ihrem Ursprung und der Zeit, in der Methode,
den Bedingungen und Prinzipien, wie in ihrem Wortlaute vorhanden.
Böhmen ist kein Patrimonium, kein sogenanntes Erbland, kein bloßes
Anhängsel Österreichs, sondern ein Land, das Anrecht auf diplomatische
Beziehungen und wechselseitige Vereinbarungen hat. Es ist ebenso ein
Staat wie Ungarn.“