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in Abhängigkeit von den Slowaken. Die Vereinigung der
Tschechen und Slowaken ist somit eine legitime Forderung.
Diese politische Forderung haben nicht nur die Tschechen,
sondern auch die Slowaken aufgestellt. Die Slowaken werden
sich in der Schule und in ihrer gesamten Verwaltung ihrer Sprache
bedienen; ein sprachlicher Gegensatz besteht nicht, da jeder
Slowake — auch der ungebildete — tschechisch versteht und jeder
Tscheche slowakisch,! Die Slowaken haben den Tschechen in
der Zeit der Wiedergeburt große Schriftsteller geschenkt (Kollar,
Safarfk) und andere große Männer wurden von den Slowaken
erzogen (Palacky, teilweise auch Dobrovsky). Die Magyaren,
obwohl kulturell schwächer als die Slowaken, haben sich nicht
gescheut, die Slowaken systematisch und brutal zu magyarisieren;
diese Magyarisierung war nicht durch kulturelle Überlegenheit
vorbereitet und genährt, sondern war das Werk der staatlichen
Verwaltungsmaschine, die sich der Gewalt und demoralisierender
wirtschaftlicher Vorteile bediente. Es ist bekannt, daß Parlaments
wahlen auf slowakischem und rumänischem Boden mit Schlachten
zu schließen pflegten, in welchem die nicht magyarischen Wähler
einfach abgeschossen wurden — nur auf diese Weise wurde der
magyarische Charakter des Parlaments aufrecht erhalten, obwohl
die Mehrheit der Bevölkerung in Ungarn nicht magyarisch ist 1 ).
47. Die Pangermanen betonen die höhere Kultur des deutschen
Volkes als Argument für sein Recht auf Weltherrschaft; wenn
Kultur Bedingung der politischen Selbständigkeit ist, dann
J ) Das Slowakische ist ein archaistischer Dialekt neben den mäh
rischen Dialekten und dem zentralen tschechischen (Prager) Dialekt.
Das Slowakische hat sich unter der Herrschaft der Magyaren literarisch
nicht frei entfalten können, und auch das Tschechische war in seiner
Entwicklung infolge des politischen Niedergangs beträchtlich aufgehalten
worden. Jeder Tscheche versteht slowakisch und umgekehrt, der Unter
schied besteht nur in archaistischen Formen und in einzelnen Worten;
das Slowakische hat denselben Akzent wie das Tschechische, und gerade
durch den Akzent unterscheiden sich die slavischen Völker voneinander.
Das Polnische, das Russische und die jugoslavischen Sprachen haben
jede eine andere Silbenbetonung. Das Slowakische wurde an der Neige
des 18. Jahrhunderts Schriftsprache. Zwischen den tschechischen und
den slowakischen Literaten gab es damals heftigen Streit wegen des
Slowakischen; die Slowaken selbst, wie Kollar und Safarik, befürchteten
eine nationale Zersplitterung. Heute sind diese Streitigkeiten durch die
Praxis aus der Welt geschafft; für die jüngeren Generationen existiert
auf beiden Seiten eine Sprachenfrage nicht, die • nationale und staatliche
Einheit ist durch den Gebrauch des Slowakischen in keiner Weise bedroht.