Full text: Das neue Europa: der slavische Standpunkt

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Im österreichischen Parlament sind die Tschechen und Polen 
häufig vereint vorgegangen; die Harmonie war nicht ungetrübt, 
aber dieser Krieg muß den Führern der beiden Nationen die 
Augen öffnen, die gemeinsame Gefahr in der Gegenwart und 
Zukunft muß die beiden Völker zu einem wohlbedachten, ge 
meinsamen Vorgehen vereinen. x ) 
50. Der Zusammenhang der wichtigen jugoslavischen mit der 
tschechoslowakischen und polnischen Frage ist durch die ge 
meinsame Gefahr gegeben, die aus dem pangermanischen Plane 
von Zentraleuropa entspringt, welcher nicht nur auf die Erhaltung 
Österreich-Ungarns, sondern auch der Türkei gerichtet ist. 
Die Jugoslaven * 2 ) sind im Süden dasselbe, was die Tschecho- 
slowaken und Polen im Norden — ein Damm gegen die ma 
gyarische und deutsche Angriffslust. Den Jugoslaven sind die 
Slowaken jetzt nicht benachbart, aber einstens grenzten die Slo 
waken direkt an sie, bis der Einfall der Magyaren in das gewesene 
Pannonien die beiden Völker trennte; jetzt reichen nur slowakische 
Oasen bis zu den Serben und es gibt tschechische Kolonien 
in Kroatien. 
Obwohl die Tschechen und die Slowaken nicht Nachbarn 
der Jugoslaven sind, ist doch ihre politische und kulturelle, seit 
jüngster Zeit auch wirtschaftliche Wechselseitigkeit sehr lebhaft; 
die literarischen Wechselbeziehungen sind sehr intim, das po 
litische Zusammengehen ergab sich im gemeinsamen Parlament. 
Die jugoslaven haben sehr gut begriffen, daß ein selb 
ständiger tschechoslowakischer Staat auch für sie eine Lebens 
frage ist; drängen ja die Deutschen und Magyaren vom Norden 
in geeinter Front nach der Herrschaft auf dem Balkan und auf 
der Adria. 
x ) Es gibt ein polnisches Sprichwort über die Freundschaft der 
Polen mit den Ungarn: Die Ungarn aber, die in diesem Sprichwort 
gemeint sind, sind, wie mich ein polnischer Historiker belehrt hat, die 
Slowaken. Der genannte Historiker hat mich nämlich darauf aufmerksam 
gemacht, daß in den Nachrichten über die Beziehungen der polnischen 
und ungarischen Heere nirgends die Rede von Dolmetschen sei, was 
gewiß erwähnt wäre, wenn die ungarischen Heere nur magyarisch ge 
wesen wären. (Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, daß im 
16. und 17. Jahrhundert von ganz Ungarn nur die Slowakei nicht 
türkisch war.) 
2 ) Die Bezeichnung Jugoslaven als Gesamtname der Serben, Kroa 
ten und Slowenen hat sich jetzt allgemein eingebürgert; daher verwende 
ich dieselbe auch, obwohl sie nicht ganz genau ist — die Bulgaren sind 
auch Jugoslaven (= Südslaven).
	        
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