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Die Militaristen wenden ein, es sei schwer zu entscheiden,
ob 1 jemand einen Verteidigungs- oder einen Angriffskrieg führt;
die Historiker hätten dies nicht einmal von Kriegen längst ent
schwundener Zeiten festzustellen vermocht, geschweige denn vom
gegenwärtigen Kriege. Jeder Krieg ist unsittlich, räumen die
preußischen Jesuiten im Soldatenrock ein, und eben darum soll
man in der Frage die Moral beiseite lassen. Eine völlig falsche
Behauptung; daß die preußischen Historiker und überhaupt die
Historiker in Ländern, wo es kerne politische Freiheit gibt, die
Streitfragen nicht zu lösen vermögen, ist wahr und ebenso wahr
ist es, daß es Historiker gibt, die es überhaupt nicht imstande sind.
Aber urteilsfähige, freie, an wissenschaftliche Genauigkeit gewöhnte
Menschen vermögen die unterscheidenden Merkmale der Ver
teidigung und des Angriffes hinlänglich sachlich festzustellen.
Dies gilt auch von diesem Kriege. /
Manche Pazifisten werten den Krieg unrichtig. Der Krieg
ist ein Übel und ein sehr großes Übel, aber — wenn man den
Enderfolg und den Verlust an Leben und Gesundheit in Anschlag
bringt, ist er nicht das größte Übel. Der Alkoholismus z. B.
heischt nicht weniger Opfer als der Krieg; die Folgen der Lues,
der Unvorsichtigkeit bei der Fabriksarbeit und anderswo, fügen
in summa nicht weniger Unglück den Einzelnen wie der Ge
sellschaft zu; die ungeheure Zahl der Selbstmorde in allen Staaten
(in Europa jährlich an 100.000) beweist klar, daß der Krieg nicht
das ärgste und sicherlich nicht das einzige Übel ist. Ein ehrloses
Leben, ein Leben in Knechtschaft ist ein ärgeres Übel.
Auch gibt es einen Unterschied zwischen Kriegführen und
Kriegführen — der Baschi-Bosuk führt auch Krieg, aber es gibt
auch einen Krieg nach den Bestimmungen der Genfer Konvention.
Die Deutschen und die Österreicher haben sidh an diese Kon
vention nicht gehalten und manche inhumane. Arten von Angriff
eingeführt; man kann diese Maßnahmen nicht barbarisch nennen,
da sie wohldurchdacht und ein Ergebnis der Abschreckungs
theorie sind, die ein deutscher Offizier in dem Satze zusammen
gefaßt hat, er werde im Feindesland zehntausend Kinder töten,
wenn er dadurch einen einzigen Soldaten retten könne.
Die preußische Kriegsphilosophie ist ein Produkt des Mi
litarismus. Der Militarismus ist das eigentliche Übel, an das
man denkt, wenn vom Kriege die Rede ist. Der Militarismus ist
die Mathematik der Angriffslust, der kriegerische Geist, in ein