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sich ebenfalls vor dem Gewicht dieses Argumentes. Harden hat
bereits im November 1014 aufrichtig und rückhaltslos bekannt:
„Wir haben diesen Krieg gewollt“ 1 ).
In der Literatur des Westens wird bisher die ganze oder
wenigstens die überwiegende Schuld auf Deutschland geschoben,
Österreich bleibt dabei irgendwie im Hintergründe. Dies ist un
richtig; Österreich hat in der letzten Zeit vor und nach der
Annexion Bosniens und der Herzegowina einer sehr angriffs
lüsternen Politik gegen Serbien und Rußland gehuldigt und den
Krieg dadurch heraufbeschworen; Deutschland hat diese Politik
zu seinem Vorteile unterstützt und mißbraucht. Die Frage, wer
von beiden mehr schuld ist, braucht in dieser kurzen Skizze nicht
behandelt zu werden — hier möchte ich nur mit allem Nachdruck
hervorheben, daß Österreichs Schuldmaß nicht gering ist, viel
größer als selbst seine Widersacher behaupten.
Vielleicht wird eingewendet werden, daß Österreich unter
dem Drucke von Berlin gehandelt habe — in England, Frankreich 1
und Amerika gibt es genug Leute, die sich die Sache in dieser
Weise vorstellen, und Österreich selbst verbreitet und bekräftigt
durch seine Agenten diese Legenden. Ich habe bereits gesagt,
daß man in Berlin davon weiß, aber das bildet keinen Stein des
Anstoßes. Im Gegenteil! Es ist richtig, Österreich steht unter
dem Einflüsse und dem Drucke Berlins, das bedeutet aber nicht,
1 ) Das Mitglied des Reichstages, der Historiker Gothein, hat bereits
am 17. November 1914 im „Berliner Tageblatt“ die Frage, ob die
Deutschen diesen Krieg gewünscht haben, zu beantworten versucht, und
hat sich gezwungen gesehen, folgendes zuzugeben: Es läßt sich nicht
bestreiten, daß gewisse, unverantwortliche Kreise sich mit diesem Ge
danken befaßt haben. Sind der General von Bernhardi (jetzt einer der
führenden Befehlshaber der Ostfront) und ähnliche Schriftsteller bloß
„unverantwortliche Kreise“? Herr Fr. Naumann („Die Hilfe“, August
1917) erging sich in Betrachtungen darüber, warum das deutsche Volk
nicht mehr glauben könne, daß der Krieg ein bloß defensiver wäre.
Das Volk kann nicht mehr länger mit gutem Gewissen daran glauben,
daß die gegenwärtigen Schlachten unausweichliche Defensivschlachten sind.
Es hegt vielmehr einen dunklen Verdacht, daß man derart einer Erobe
rungspolitik über das unbedingt notwendige Maß hinaus diene. Und
entschieden wird durch gewisse Publikationen, in welchen mächtige Ge
sellschaften und private Einzelpersonen der Sehnsucht nach Eroberungen
Ausdruck leihen, eine unheilvolle Wirkung hervorgerufen. Die in diesen
Publikationen behandelten, nur allgemein gehaltenen' Ideen gelangen in
die große Masse des Volkes; aber wir können mit bestem Gewissen
sagen, daß man von ihrer Existenz sehr gut in allen Kasernen, in allen
Werkstätten und in allen ländlichen Gasthäusern weiß. Infolge dieser
Offensivliteratur schwindet der schlichte Glaube an einen Defensivkrieg.