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f bestimmung, der Staat wird daher der Nationalität untergeordnet,
die Zentralmächte sind anational und geradezu antinational. x )
7.
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
15. Daß die Nationalität ein politischer Machtfaktor geworden
ist, könnte unter Umständen eine bloße historische Tatsache
sein, allein die Verbündeten erkennen das Recht auf Selbst
bestimmung an; Präsident Wilson führte aus, daß man kein Volk
zwingen dürfe, eine Regierung zu haben, die nicht aus dem Volk
und für dieses Volk sei. Die sogenannten Realpolitiker be
ruhigen sich, wenn es ihnen gerade paßt, bereitwilligst mit dem,
was ist, und verwechseln gerne den tatsächlichsten Zustand mit
! ) Des Wortes „Nation“ bedient man sich auch, um die gesamte
Einwohnerschaft eines gemischten Staates zu bezeichnen, z. B. die
Schweizer „Nation“. Österreichische „Nation“ pflegt man nicht zu sagen,
weil es in Österreich allzuviele Nationen gibt und weil die dortigen
nationalen Kämpfe bekannt sind, obgleich man diese Wendung mit dem
selben Rechte benützen könnte, wie von der Schweiz, Belgien u. a.
In der deutschen staatswissenschaftlichen Literatur verwendet man des
öfteren den Terminus „politische Nation“, um die gesamte Einwohner
schaft eines gemischten Staates oder das herrschende Volk zu bezeichnen.
Es ist selbstverständlich, daß Nationen, die längere Zeit zusammen
in einem Staate leben, vielfach dieselben Anschauungen und dieselben
Institutionen haben, wie auch gleiche und gemeinsame Erinnerungen;
eben deshalb spricht man von einer belgischen „Nation“ usf. Anderseits
spricht man von einer irischen, von einer schottischen „Nation“ u. dgl.;
im Falle von Irland und Schottland handelt es sich um Teile des jetzigen
England, die bis vor kurzem politisch selbständig waren und deren
Bevölkerung ihre eigene Sprache gesprochen hat und zum Teile noch
heute spricht.
Wieder in anderem Sinne gebraucht man das Wort „Nation“ von
Bayern, Sachsen und anderen deutschen Staaten, oder von Serbien und
Montenegro, anders von den Kanadiern, den Australiern, den Ameri
kanern, den Vereinigten Staaten; aber die Föderationsbemühungen um
die Herbeiführung einer engeren Union der englisch sprechenden Na
tionen zeigen, daß das Nationalgefühl sogar die Geographie und die
durch die Entfernung entstandene Verschiedenheit überwindet. Ich sehe
auch 1 m Anschlüsse Amerikas an England einen gewissen Ausdruck des
nationalen Fühlens.
Es sei hier noch auf den Unterschied der Termini Nation und
Volk (natio — populus, nation — peuple, nation — people) aufmerksam
gemacht. Nation wendet man mehr im politischen Sinne an — Volk
bedeutet mehr die Masse der Nation in demokratischem Sinne. Der
Gebrauch beider Termini' ist besonders auch in wichtigen Kundgebungen
während dieses Krieges unbestimmt und ziemlich ungenau gewesen.