Heute sind bei allen Völkern und besonders bei den kleinen
Sprachenkenntnisse weit verbreitet; die Zahl der Menschen
wächst, die zwei Sprachen sprechen, und auf diese Weise ist eine
lebendige Verbindung zwischen den Nationen möglich gemacht.
Diese Verbindung wurde durch das Lateinische oder Französische
nicht vollkommener hergestellt, im Gegenteil; die Kenntnis dieser
Sprachen war auf die gebildeten Schichten und auf den Adel
beschränkt; heutzutage ist die Bildung und auch die Sprachen
kenntnis allgemeiner, demokratischer.
Die Internationalität von heute ist ganz verschieden von dem
Kosmopolitismus des achtzehnten Jahrhunderts, der wesentlich
französisch war; es war eben ein aristokratischer Kosmopolitismus,
der sich auf den Adel und die Gebildeten beschränkte.
Im 19. Jahrhundert traten neben den Franzosen und Eng
ländern noch andere Nationen in den Vordergrund: die Italiener,
die Russen, die Deutschen; und durch die Vervollkommnung
der Kommunikationsmittel und infolge der früher unbekannten
wachsenden Intermigration der Völker, vor allem des arbeitenden
Volkes, kräftigt sich der seinem Wesen nach demokratische Inter
nationalismus. Die sozialistische Internationale ist sein besonderes
Organ; aber nicht nur die Arbeiterschaft, sondern alle Stände
(Gelehrte und Philosophen, Techniker, Kaufleute, Juristen, Künst
ler usf.) sind heute international organisiert.
Erst durch diese Art von Internationalität kommt es zur
Arbeitsteilung zwischen den Nationen, nicht bloß auf wirtschaft
lichem, sondern auch auf kulturellem Gebiete überhaupt, Europa
und die Menschheit vereinheitlicht sich immer mehr und mehr.
Der Internationalität stehen, wie eben dieser Krieg beweist, nicht
die kleinen Nationen im Wege.
10 .
Politische Selbständigkeit und nationale Autonomie.
20. Die politische Selbständigkeit ist für eine sich der Bedeu
tung ihres Selbst bewußte, gebildete Nation eine Lebensnotwen
digkeit; eine politisch unfreie Nation wird bisher auch im ent
wickeltesten Kulturstaate unterdrückt, wirtschaftlich und sozial
ausgebeutet. Je denkender ein Volk ist und je energischer, desto
schwerer trägt es die fremde Oberherrschaft; und es kommt vor,
daß der politisch Herrschende weniger gebildet, weniger tüchtig
4 Das neue Europa.
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