Full text: Das neue Europa: der slavische Standpunkt

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begriffen, daß das bischen Freiheit, das jetzt den Slaven ver 
sprochen wird, der Germanisierung derselben durch die Ideen 
nicht im Wege stehe. Man kann auch in slavischer Sprache ger 
manisieren; mit solcher Taktik wollte Franz-Ferdinand seine ger 
manisierende Zentralisation durchführen. Der Kampf um die 
deutsche Vorherrschaft mit Preußen hat, wie erwähnt, in der 
Tat in Preußen und in Deutschland die deutsche Idee befestigt, 
bis endlich durch Bismarck die definitive Formel für die 
Organisation des pangermanischen Dranges gefunden wurde. 
Dazu haben sich die Magyaren Deutschland auf Gnade und 
Ungnade ergeben, wie dies nicht nur Tisza sondern auch Andrässy, 
Kärolyi und tutti quanti immer verkünden. Wien und Budapest 
werden nicht gegen Deutschland sein. 
Auch die Spekulation auf den kirchlichen und religiösen 
Gegensatz wird sich nicht bewähren. Deutschland hat Öster 
reich politisch, die Katholiken in Deutschland haben es kirchlich 
okkupiert; sie wissen sehr wohl, daß der österreichische Katholi 
zismus ein Sumpf ist — ausdrücklich hat es das Kölner katholische 
Organ so formuliert — aber dies verursacht den Jesuiten in 
Köln und Rom kein Kopfzerbrechen. Im Gegenteil, Wien wird 
umso gefügiger sein, das Zentrum in Deutschland wird der 
politische Führer der nachgiebigen Österreicher werden. 1 ) Das 
Preußen Friedrichs und Bismarcks steht puncto Jesuitismus dem 
Zentrum und Wien in nichts nach; der dynastischen Prestige 
politik Österreichs handelt es sich immer in erster Linie um den 
Schein — Berlin befriedigt die Wiener Gelüste auf geschickte 
Weise und es hat nichts dagegen, wenn die Habsburger den 
Schein der Unabhängigkeit oder gar des Primats wahren. Berlin 
nimmt zum Beispiel keinen Anstoß daran, daß Wien in der 
*) Ich habe schon vor Jahren dieses Urteil über den österreichischen 
Katholizismus in meinem Vortrage in Boston (1907) formuliert; ich 
wiederhole: Ich verurteile hier speziell den österreichischen Katholizis 
mus, weil er der Politik dient; dieser Katholizismus ist darum ohne 
wahre religiöse Vitalität, zum Unterschiede von dem Katholizismus in 
jenen Ländern, wo er, wie in Amerika, auf eigene Füße gestellt ist. 
Der Katholizismus ist in den protestantischen und liberalen Ländern 
stark, ist aber tot in Ländern, wo er der beatus possidens ist. Das 
schroffe Urteil des katholischen Blattes in Deutschland ist voll berech 
tigt; zur Charakteristik des österreichischen Katholizismus diene z. B. 
auch die Tatsache, daß man für prominente Posten der Hierarchie 
Aristokraten auswählt, und es versteht sich, daß der Kaiser solche 
Personen aussucht, welche er braucht. „Nein — Gott ist kein Öster 
reicher“ (Byron).
	        
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