68
begriffen, daß das bischen Freiheit, das jetzt den Slaven ver
sprochen wird, der Germanisierung derselben durch die Ideen
nicht im Wege stehe. Man kann auch in slavischer Sprache ger
manisieren; mit solcher Taktik wollte Franz-Ferdinand seine ger
manisierende Zentralisation durchführen. Der Kampf um die
deutsche Vorherrschaft mit Preußen hat, wie erwähnt, in der
Tat in Preußen und in Deutschland die deutsche Idee befestigt,
bis endlich durch Bismarck die definitive Formel für die
Organisation des pangermanischen Dranges gefunden wurde.
Dazu haben sich die Magyaren Deutschland auf Gnade und
Ungnade ergeben, wie dies nicht nur Tisza sondern auch Andrässy,
Kärolyi und tutti quanti immer verkünden. Wien und Budapest
werden nicht gegen Deutschland sein.
Auch die Spekulation auf den kirchlichen und religiösen
Gegensatz wird sich nicht bewähren. Deutschland hat Öster
reich politisch, die Katholiken in Deutschland haben es kirchlich
okkupiert; sie wissen sehr wohl, daß der österreichische Katholi
zismus ein Sumpf ist — ausdrücklich hat es das Kölner katholische
Organ so formuliert — aber dies verursacht den Jesuiten in
Köln und Rom kein Kopfzerbrechen. Im Gegenteil, Wien wird
umso gefügiger sein, das Zentrum in Deutschland wird der
politische Führer der nachgiebigen Österreicher werden. 1 ) Das
Preußen Friedrichs und Bismarcks steht puncto Jesuitismus dem
Zentrum und Wien in nichts nach; der dynastischen Prestige
politik Österreichs handelt es sich immer in erster Linie um den
Schein — Berlin befriedigt die Wiener Gelüste auf geschickte
Weise und es hat nichts dagegen, wenn die Habsburger den
Schein der Unabhängigkeit oder gar des Primats wahren. Berlin
nimmt zum Beispiel keinen Anstoß daran, daß Wien in der
*) Ich habe schon vor Jahren dieses Urteil über den österreichischen
Katholizismus in meinem Vortrage in Boston (1907) formuliert; ich
wiederhole: Ich verurteile hier speziell den österreichischen Katholizis
mus, weil er der Politik dient; dieser Katholizismus ist darum ohne
wahre religiöse Vitalität, zum Unterschiede von dem Katholizismus in
jenen Ländern, wo er, wie in Amerika, auf eigene Füße gestellt ist.
Der Katholizismus ist in den protestantischen und liberalen Ländern
stark, ist aber tot in Ländern, wo er der beatus possidens ist. Das
schroffe Urteil des katholischen Blattes in Deutschland ist voll berech
tigt; zur Charakteristik des österreichischen Katholizismus diene z. B.
auch die Tatsache, daß man für prominente Posten der Hierarchie
Aristokraten auswählt, und es versteht sich, daß der Kaiser solche
Personen aussucht, welche er braucht. „Nein — Gott ist kein Öster
reicher“ (Byron).