Full text: Gesammelte Schriften (3)

Das englisch-japanische Bündnis 
(1.902) 
Der Allianzvertrag zwischen den beiden großen Seestaaten in West 
europa und im fernen Ostasien darf als das bedeutsamste politische Er 
eignis des neuen Jahrhunderts gelten. Er ist epochemachend nach mehreren 
Richtungen hin. Großbritannien verläßt plötzlich die Politik der brillanten 
Isolierung und bindet sich für fünf Jahre an eine andere Macht. Der mon 
golische Inselstaat in Ostasien wird mit einem Schlag als allianzberechtigte 
Großmacht von dem sprödesten Staat Europas anerkannt. Im „Fernen 
Osten" aber ist von neuem das Gleichgewicht der Kräfte hergestellt. Eng 
land, welches in den letzten Jahren Schritt für Schritt vor Rußland zurück 
zuweichen schien, hat mit einemmal seine alte geschichtliche Machtstellung 
an der Westseite des Stillen Ozeans zurückerobert. 
Denn die japanische Flotte, vor allem aber daö japanische Landheer, 
fallen jetzt mit in die Waagschale Großbritanniens. Dies aber bedeutet zur 
See die unbestrittene Vorherrschaft: zu Lande immerhin das Gleichgewicht 
gegen Rußland. Der Inselstaat im Fernen Osten starrt von Bajonetten. 
Eine schlagfertige Armee von 250 000 Mann steht an den Toren des ost 
asiatischen Kontinents, bereit, in die Entwicklung der dortigen Verhältnisse 
einzugreifen, wenn die Interessen der verbündeten Staaten dies erheischen 
sollten. Rußland wird sich zweimal besinnen, ehe es demgegenüber die 
Dinge in der Mandschurei zur Entscheidung durch die Waffen drängen läßt. 
Ein Krieg in Ostasien ist unter allen Umständen auch für diesen gewaltigen 
Kontinen-talstaat ein gefährliches Abenteuer fernab von seiner natürlichen 
Basis; für Japan, unterstützt durch englisches Kapital, englische Kriegs 
schiffe und britische Regimenter, aber ein Kampf an den Landesgrenzen. 
Hierin liegt der wesentliche Schwerpunkt der Verschiebung der ostasiatischen 
Machtverhältnisse. Großbritannien gewinnt ein jederzeit bereites scharfes 
Schwert für die Verteidigung seiner ostasiatischen Politik; Japan erhält 
den zur Kriegführung erforderlichen Kredit und den Rückhalt der britischen 
Flotte. Damit ist das drohende Übergewicht Rußlands in Ostasicn beseitigt, 
an seine Stelle tritt ein natürliches Gleichgewicht der Großmächte. 
Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Politik vom englischen Jnteressen- 
standpunkt aus energisch und äußerst klug ist. Dem russischen Vordringen 
wird ein lautes „Halt" zugerufen, welches sicherlich nicht unbeachtet 
bleiben tvird. Aber auch Japan gewinnt materiell und besonders moralisch
	        
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