438
Aufsähe
zu sprechen liebte, und nicht geeignet, ein stolzes Volk zu gewinnen. Sic
war eine verbesserte Auflage der Rede Lloyds Georges vom vorigen
Sommer. Darauf antwortet man nicht mit Worten, sondern mit Taten.
In diesem Falle mit der Durchführung eines eigenen Flottenplanes und
einer unbekümmerten auswärtigen Politik. Überhaupt ist Großbritannien
dasjenige Land, wo sich höfische Reden am wenigsten lohnen, das aber
rücksichtsloses Handeln sehr schnell versteht. Es ist nämlich für einen Ver
teidigungskrieg großen Stils so außerordentlich schwerfällig vorbereitet.
Das weiß sicherlich auch Winston Churchill, und die Glasgower Rede war
einer seiner dreisten Bluffs.
Der Hinweis auf die wachsende Sozialdemokratie war freilich ein wirk
licher Grund. Es kann wohl unter keinen Umständeir angenommen werden,
daß diese Partei für einen solchen Wettkampf zur See zu habenist, während
die britische Arbeiterpartei im großen und ganzen derartige Forderungen
unterstützen wird. Die Schwäche dieses Landes bleibt die Schwierigkeit
der Verpflegung der Massen während eines Seekrieges auch mit einer
kleineren Macht, und das völlige Versagen der Armee in jedem euro-
europäischen Krieg. Speziell Lord Haldanes Versuch eines Freiwilligen
heeres 1 darf als völlig gescheitert betrachtet werden. Sie könnm einfach die
Mannschaften nicht aufbringen. Nun agitiert Lord Roberts mit seiner
„National Service League“ für den Gedanken der allgemeinen Wehr-
pflicht?. Aber keine Partei in diesem Lande dürfte wagen, die Idee zum
Schlagwort bei einer Wahl zu machen, ohne rettungslos von vornherein
geschlagen zu werden. Es ist bekannt, daß Großbritannien sich verpflichtet
hat, im Fall eines festländischen Krieges 450 000 Mann in der Flanke der
deutschen Aufstellung innerhalb einer Woche zu landen. Es kann als sicher
vorausgesagt werden, daß es diese Verpflichtung nicht in einem Monat
wird lösen können. Dann aber bleiben alle Drohreden gegen Deutschland
bis auf weiteres bloßes Geschwätz, von dem man am besten gar keine Notiz
nimmt.
Wie es keinem Zweifel unterliegen kann, daß ein gut Teil der Eng-
länderfurcht in Deutschland dem anmaßlichen Auftreten einzelner Eng
länder drüben zuzuschreiben ist, so muß ich wiederholen, daß eine Ursache
für die Geringschätzung, mit welcher unsere Landsleute vielfach von den
Engländern eingeschätzt werden, in der Anglomanie von Deutschen besteht.