Full text: Gesammelte Schriften (3)

Ziele der deutsch en auswärtigen Politik 
(m3) 
Die beachtenswerten Erwägungen meines alten südafrikanischen 
Freundes, des Herrn Regierungsrates Paul R. Krause, in Nr. 174 des 
„Tags", habe ich wegen einer Erkrankung bislang unbeantwortet lassen 
müssen. Bei der Wichtigkeit des in Frage stehenden Problems möchte ich 
folgendes darauf erwidern. 
Wenn mein Aufsatz vom 5. Juli*, wie Herr Krause meint, „den in den 
letzten Jahren im deutschen Volke allmählich angesammelten Pessimismus 
neu belebt hat", so beweist das nur, daß breite Kreise in unserem Volk mit 
der Handhabung unserer auswärtigen Politik im letzten Vierteljahrhundert 
nicht zufrieden sind. Tatsächlich ist die deutsche Weltstellung seit dem Rück 
tritt des Fürsten Bismarck nirgendwo auf unserem Planeten fortgeschritten, 
sondern durchweg im Rückgang gewesen. Trotz der ungeheuren Rüstungen, 
welche das Reich während dieser Epoche zu Lande und zu Wasser vor 
genommen hat, trotz des Aufschwungs unserer Industrie und unseres ge 
samten Wirtschaftslebens, trotz der Zunahme unserer Bevölkerung. Die 
deutsche Politik ließ daS wesentlichste Merkmal der Kraft vermissen: ein 
klares, auf wirtschaftlichen Voraussetzungen beruhendes Ziel und eine 
nüchtern dahinstrebende Stetigkeit. Ich will die verschiedenen Hin- und 
Hersprünge an dieser Stelle nicht weiter aufzählen: Namen wie Witu, 
Paul Krüger, Marokko, Türkei werden andeuten, was ich meine. 
Das Ergebnis ist bis auf weiteres, daß das Deutsche Reich — dessen 
universelle Bündnisfähigkeit noch dem Fürsten Bismarck seine Zuversicht 
in unsere Zukunft gab — an Vertrauen unter den Völkern der Erde mehr 
und mehr verloren hat und sich von Jahr zu Jahr entschiedener auf seine 
eigene Kraft zurückgedrängt sieht. Dies wird sich deutlicher herausstellen, 
wenn die bevorstehende Zerstörung des Dualismus in Österreich-Ungarn 
und der sich voraussichtlich daran anschließende Föderativismus nach 
Schweizer Vorbild sich vollzogen haben werden. Solcher Rückgang unseres 
Prestiges aber ist doch kein zufälliges Phänomen, sondern das logische Er 
gebnis unserer eigenen hin- und herschwankenden Entschließungen. 
Dieser Rückblick auf die letzten 25 Jahre läßt das Vertrauen des Herrn 
Krause: „Für uns Deutsche, das sollten wir nie vergessen, ficht die Zeit 
1 Es handelt sich um den vorhergehenden Aufsatz ,,Großbritannien und Frankreich
	        
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