Full text: Gesammelte Schriften (3)

462 
Aufsätze 
wie für kein anderes Volk" als einen gefährlichen Irrtum erscheinen. 
Solche Anschauungen waren auch in Preußen vor Jena lebendig. Nun 
ficht die Zeit in Wirklichkeit niemals weder für den einzelnen noch für 
ganze Völker, sondern wir alle haben uns unsere Erfolge durch ernste 
Arbeit zu erkäinpfen. Wenn aber heute die ungehindert fortschreitende Ent 
wicklung einem Volke eine große Weltmachtstellung zu bringen verspricht, 
so ist es das britische, welches im Ausbau seines Föderativismuö begriffen 
ist. Oder das russische, dessen kolossaler Bevölkerungszunahme weite 
Räume in Asien offenstehen. Das deutsche, eingekeilt in der Mitte von 
Europa, falls die gegenwärtige Entwicklung nicht durch seine eigenen 
Kraftleistungen durchbrochen wird, steht vielmehr in Gefahr, vom Wett 
bewerb als Weltmacht umgekehrt ausgeschlossen zu werden. 
Hierin scheint mir der Grundirrtum in der deutschen auswärtigen Politik 
der letzten Epoche ausgesprochen zu sein. Man meinte, wir befänden uns 
in der politischen Defensive, während unsere Nation umgekehrt politisch 
offensiv vorgehen muß, um den Wettbewerb mit Großbritannien und Ruß 
land, wahrscheinlich auch mit Nordamerika und vielleicht sogar mit China, 
durchführen zu können. 
Es war diese Erwägung eines der Motive, welche uns in den achtziger 
Jahren des vorigen Jahrhunderts veranlaßten, expansive deutsche Kolonial 
politik zu treiben. Mit dem Jahre 4890 ist diese Bewegung abgeschnitten, 
denn der Pachtvertrag um Kiautschau gehört nicht zu den kolonialpolitischcn 
Erwerbungen. Wurde aber die koloniale Ausdehnung unterbrochen, weil 
man dachte, Deutschland habe nun genug Kolonien? Nur ein Einfalts 
pinsel könnte so denken. Was wir 4890 hatten, war weder nach Quantität 
noch nach Qualität im Hinblick auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der 
deutschen Nation berechnet worden. Es war ein ganz zufälliges Konglo 
merat von Torsen willkürlich gemachter Landerwerbungen und ist auch in 
keiner Beziehung der germanischen Weltstellung angemessen. Daß dieser 
Gesichtspunkt nach den energischen Ansätzen der achtziger Jahre der letzten 
Epoche so ganz abhanden gekommen ist, wird voraussichtlich der größte 
Vorwurf sein, den ihr die geschichtliche Kritik der Nachwelt machen wird. 
Unsere deutsche Kolonialvcrwaltung mag einsichtig und wohlwollend sein; 
aber auch ihre aufrichtigsten Freunde werden ihr nicht nachrühmen wollen, 
daß sie weitausschauend oder gar groß sei. 
Herr Krause fragt mich, ob ich irgendein „erreichbares Ziel kenne, 
wegen dessen das deutsche Volk sich bcn Gefahren eines Weltkrieges aus-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.