Fair play
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Europas. Trotzdem reden die britischen Staatsmänner immerfort gern von
derartigen Motiven, obwohl kein gebildeter Engländer im Grunde irgend
welchen Wert darauf legt und man stillschweigend — augur augurem
videns 1 — weiß, daß nur der krasseste nationale Eigennutz für die Ent
scheidenden mitspricht.
Das ist ganz verschieden bei dem sentimentalen Deutschen, wo gerade
umgekehrt derartige allgemeine Stimmungen und Motive, stets mit
sprechen. Dazu sind wir zu „anständig", um die rohe Handlungsweise
der Engländer in dem gegenwärtigen Kriege gegen einzelne Briten nach
zumachen. Ich möchte wissen, was der Anstand mit der auswärtigen
Politik eines Volkes zu tun hat, mit welchem Ausdruck in der Regel auch
nur Schwächlichkeit oder moralische Feigheit beschönigt wird. Das ist genau
so, als ob man von „christlicher Arithmetik" oder einem „tugendhaften
Wasserfall" reden wollte. Gerade die erfolgreichste Politik sowohl der
Hohenzollern, des Großen Kurfürsten und Friedrichs des Großen sowie des
Fürsten Bismarck ist durch jene englische Art des Denkens erreicht. Nur
dadurch sind wir ein großes Volk geworden.
Wie sehr die Briten im gegenwärtigen Kriege ihrer vererbten Brutalität
gefolgt sind, lehrt jede Seite seiner Geschichte von Anfang an. Wie die
Wilden haben sie unsere friedlichen, arbeitenden Landsleute auf der ganzen
Erde eingesperrt, gemartert und zu Tode gequält. Trotz Genfer Konven
tionen und aller Haager Abmachungen. Bislang glaubten wir, daß der
Kriegszustand nur zwischen Staaten bestände, die einzelnen Bürger aber
nichts damit zu tun hätten. Jetzt lehrt uns die Kriegführung Lord Kit-
cheners, daß dies ein Irrtum war, und daß die bloße Tatsache, zum
Deutschen Reich zu gehören, den einzelnen Menschen vogelfrei auf der
halben Erde macht. Früher glaubten wir an ein gewisses gemeinsames
Interesse der weißen Rasse gegenüber den Farbigen. Jetzt erleben wir es,
daß englische Ränkesucht Gelbe und Schwarze gegen uns ins Feld führt,
ganz unbekümmert um europäische Kultur und Interessengemeinschaft.
Früher galt es als roh und gemein, schon seit dem Dreißigjährigen Kriege,
den Besitz des einzelnen anzutasten. Heute belegt der britische Staat alle
Einzelvermögen in seinem Machtbereich mit seiner plumpen Faust. Früher
gab es eine gewisse Ritterlichkeit selbst im Kriege; jetzt erfahren wir
praktisch, daß es im Kriege nur ein Ziel gibt, für welches jedes Mittel
dienen darf, nämlich: den Feind zu Boden zu werfen und zu vernichten.
1 „Mit Augurenlächeln u , d. h. sich in geheimem Einverständnis zuzwinkernd.