Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

V. Obligatorische Arbeitsordnung. 233 
Ebensowenig macht das Gesetz.die Kenntnis der Arbeitsordnung durch 
den Arbeitnehmer zur Bedingung!. Nach GewO. $ 134° Abs. 2 
Satz 3 ist „die Arbeitsordnung jedem Arbeiter bei seinem Eintritt in 
die Beschäftigung zu behändigen“. Dieser Eintritt erfolgt aber ge- 
wöhnlich nach dem Abschlufs des Arbeitsvertrags 2. 
Die Ausfüllung der (obligatorisch oder fakultativ) in die Ar- 
beitsordnung aufzunehmenden Rubriken und folgeweise die Ausstattung 
des Arbeitsvertrags mit gesetzlich vorgeschriebenem Inhalt ist vom 
Gesetz dem Arbeitgeber allein überlassen, wie auch der Erlafs der 
Arbeitsordnung, der durch Aushang erfolgt, ein einseitiger Akt ist. 
Demgemäfs wird in den Versicherungsgesetzen die „Übereinkunft“ 
von den .„Arbeitsordnungen“ unterschieden ®. 
Dals das Gesetz dem Arbeitgeber allein jene Kompetenz zugewiesen 
und die Arbeitsordnung nicht für ein gemeinsames Werk von Arbeit- 
geber und Arbeitnehmern erklärt hat, ergiebt sich erstens daraus, dafs in 
GewO. $ 134 b Abs. 3 Satz 2 die „Zustimmung“ eines ständigen Arbeiter- 
ausschusses nur für gewisse fakultative und nebensächliche Bestim- 
mungen verlangt wird, und zweitens daraus, dafs nach 8 134 4 vor dem 
Erlafs der Arbeitsordnung den erofjährigen Arbeitern (wohl auch Ar- 
Zustimmung des Arbeitnehmers (z. B. durch Unterschrift) abhängig macht, 
ist zwar ungültig; andernfalls könnte ja der Arbeitgeber die Geltung durch 
Nichteinholung der Zustimmung hintanhalten. Hingegen würde der Arbeit- 
geber wider Treu und Glauben verstofsen (exceptio doli), wenn er selbst sich 
gegen den Arbeitnehmer auf eine Arbeitsordnung berufen würde, deren 
Geltung er von der Zustimmung des Arbeitnehmers abhängig gemacht hat, 
falls er diese Zustimmung nicht eingeholt hat. Das Stuttgarter Gewerbe- 
gericht (Soziale Praxis IV, 664) scheint die fragliche Bestimmung einer Arbeits- 
ordnung irrtümlich für gültig zu halten. Vgl. auch Gewerbegericht IL, 41. 
ı Einverstäanden Koehne, Die Arbeitsordnung (1901) S. 32/33. 
%? So auch Unger, Entscheidungen S. 172 vor al. 1. Man kann nicht 
sagen, (Unger S. 167, vgl. Gewerbegericht IV, 146) die Kenntnis des 
Inhalts werde, wenn nur die Publikation in der erforderlichen Weise 
erfolgt ist, bei den Beteiligten vorausgesetzt. Sie braucht nicht vorausgesetzt 
zu werden, weil sie nach dem Gesetz nicht erforderlich ist. Aushang und 
Einhändigung der Arbeitsordnung geschehen allerdings zur Beschaffung der 
Kenntnis. Aber diese Kenntnis soll nur der Befolgung und der Kontrolle 
der Befolgung förderlich sein. — Eine andere Frage ist es, ob die dargestellte 
Rechtsordnung löblich ist. Diese Frage mufs verneint werden. 
38 z.B. InvVG. 8 180. SeeUVG. 8 139. Die Einseitigkeit der AO äufsert 
sich am stärksten darin, dafs eine neue AO für ein bestehendes Arbeits- 
verhältnis geltend wird (S. 231 zu *), auch wenn sie der Arbeitnehmer ablehnt. 
Er kann ihr nur durch Aufhebung des Arbeitsverhältnisses entgehen. Wegen 
der Einseitigkeit s. Apt in Archiv f. öffentl. Recht XV, 332. Loewenfeld 
in Brauns Archiv IIL 439—444. Koehne a. a. 0. S. 24—33,
	        
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