Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

IV. Arbeitsverhältnis unter Ehegatten und Verwandten. 257 
bundesrätliche „Bekanntmachung betreffend Einrichtung und Betrieb 
der zur Anfertigung von Cigarren bestimmten Anlagen“ (vom 8. Juli 
1893, oben S. 68?) verlangt, dafs Arbeiterinnen und jugendliche 
Arbeiter „im unmittelbaren Arbeitsverhältnis zu dem Betriebsunter- 
nehmer stehen“, und verbietet „das Annehmen und Ablohnen der- 
selben durch andere Arbeiter oder für deren Rechnung“. Diese Vor- 
schrift findet keine Anwendung „auf Arbeiter, welche zu einander in 
dem Verhältnis von Ehegatten, Geschwistern oder von Aszendenten 
und Deszendenten stehen“. In den Arbeitsverhältnissen von Familien- 
angehörigen, deren in den citierten Quellen gedacht wird, handelt es 
sich nicht um Arbeit „im Hauswesen“ des Arbeitgebers, wohl aber im 
erstgenannten Falle um Arbeit „im Geschäfte“ des Arbeitgebers. 
Nach BGB. 8 1356 kann die Ehefrau! und nach $ 1617 kann 
das Kind? gegenüber dem Ehemann bezw. gegenüber den Eltern 
gesetzlich verpflichtet sein, Arbeiten oder Dienste im Hauswesen 
oder Geschäfte des Ehemannes bezw. der Eltern zu leisten. Diese 
gesetzliche Verpflichtung schliefst die Eingehung eines Arbeitsvertrags 
nicht aus. Dafs im gegebenen Fall die Frau und das Kind auch 
ohne Zusage zur Arbeit verpflichtet sind, ist kein Grund der Un- 
gültigkeit ihrer Zusage®*. Nur wenn Frau oder Kind, ihre gesetzliche 
Arbeitspflicht kennend, die Erfüllung derselben verweigern und sich 
erst durch Zusage eines Entgeltes zur Erfüllung oder Zusage der Er- 
füllung bewegen lassen, würde kein Arbeitsvertrag aufkommen. Denn 
der Entgelt wäre hier nicht für die Arbeit, sondern für die Erfüllung 
einer Rechtspflicht versprochen und durch denjenigen versprochen, 
ı „Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die 
Frau verpflichtet, soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen, in 
denen die Ehegatten leben, üblich ist.“ 
? „Das Kind ist, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und 
von den Eltern erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen 
Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem 
Hauswesen und Geschäfte Dienste zu leisten.“ 
8 Nicht blofs das Pandektenrecht kennt gültige Versprechen von 
Leistungen, zu denen der Promittent dem Promissar ohnehin verbunden ist: 
man denke z. B. an das constitutum debiti proprii, an das Custodiaversprechen 
and vgl. Regelsberger in Jherings Jahrbüchern Bd. 40 S. 464/65. Auch 
Jas moderne Recht liefert Belege. Denn dafs es einen gesetzlichen Anspruch 
auf Berge- und Hülfslohn giebt, schliefst nicht aus, dafs ein Arbeitsvertrag 
über Berge- und Hülfsarbeit eingegangen werde, ebensowenig als die Existenz 
eines gesetzlichen Anspruchs auf Finderlohn einem Arbeitsvertrag über die 
Finderarbeit im Wege steht. — Rechtlich verbotene, nicht auch rechtlich ge- 
botene Leistungen sind von der Aufnahme in einen Arbeitsvertrag aus- 
geschlossen. 
Latmar. Arbeitsvertrag. I.
	        
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