IV. Stellung der Rechtswissenschaft zum AV, .
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Ungleichheit der Macht bei Abschlufs und Vollzug von Arbeitsver-
irägen einander gegenüberstehen !,
Die Bedeutung des Arbeitsvertrags — um das Gesagte zusammen-
zufassen — besteht in der Menge und Mannichfaltigkeit seiner An-
wendung, die ihn als Schwungrad in der rechtlichen Maschinerie der
modernen Wirtschaft erscheinen lassen, und ferner darin, dals er ver-
möge der ihn kennzeichnenden Leistung, der mit dem Einsatz der
Person verwobenen Arbeit, dem Recht eine schwere, vielseitige Auf-
gabe stellt, eine Aufgabe, deren Schwierigkeit sich noch dadurch
steigert, dafs jene Arbeit massenhaft von solchen übernommen wird,
die keine andere Leistung gegen Entgelt zu bieten haben und für den
Streit der Interessen nicht mit dem vollen Rüstzeug ausgestattet sind.
IV. Nach der im Vorstehenden skizzierten gewaltigen Bedeutung,
die der Arbeitsvertrag im Ablauf des Einzel- wie des Gemeinlebens
besitzt, und nach der Zahl und Tragweite der Aufgaben, welche er
der Rechtswissenschaft darbietet, sollte man erwarten, dafs er einen
bevorzugten Gegenstand der Jurisprudenz bilde, dafs diese sich sowohl
seiner einzelnen Teile bemächtigt. als einen Aufbau des Ganzen wieder-
1 Vgl. einerseits Gro(smann, in Verhältnisse der Landarbeiter in Deutsch-
land II, 498/99 (Schriften des Vereins für Soecialpolitik Bd. 54): „Die ge-
samten Bedingungen, unter denen der Tagelöhner mit seiner Familie zu ar-
beiten hat, sind nicht selten durch schriftliche Kontrakte formuliert. Manche
jedoch legen gar keinen Wert auf solche Kontrakte und teilen daher die
Arbeitsbedingungen den Tagelöhnern nur mündlich mit, betrachten auch die
Arbeiter . . . gar nicht als kontraktlich gebunden. Sie sagen, der Kontrakt
verpflichte doch nur den Arbeitgeber, es sei besser, einen Arbeiter, der nicht ar-
beiten wolle, laufen zu lassen, als ihn zu zwingen, die Arbeit zu verrichten,
An vielen Orten weigern sich auch die Arbeiter, einen Kontrakt zu unter-
schreiben , .“ Fiebelkorn, Die Arbeitervermittelung in der Ziegelindustrie
'1899) S. 24: „Von schwerwiegender Bedeutung für die Arbeitgeber in der
Ziegelindustrie ist ihre fast völlige Rechtslosigkeit gegenüber den Arbeitern.“
Andererseits M. Weber in Verhältnisse der Landarbeiter III, 774 (Schr. des
Vereins f. Socialpolitik Bd. 55): „Auch ist ersichtlich, dafs keine Form der
Erledigung von Streitigkeiten über alle diese Verhältnisse weniger geeignet
ist, sachgemäfse Resultate zu zeitigen, als die Anrufung der Gerichte. Die
verwaltungsrechtliche Normierung dessen, was dem Arbeiter observanzmäfsig
zukommt . .. war den historischen Grundlagen des ländlichen Arbeitsverhält-
nisses wesentlich angemessener. Wo eine solche Regelung zufolge der Zer-
setzung der alten Organisationen nicht mehr möglich ist, entscheidet die
jeweilige Machtlage und sind die Formen des Privatrechts für die Masse der
nicht grundbesitzenden Landbevölkerung indifferent und von äufserst geringer
praktischer Bedeutung ... Auch diese indifferente Stellung zum Privatrecht
ist ein typischer Zug in der Lage des modernen Proletariate.“