400 Il. Abschn. Zahlungszeit. 4. Kap.: Aufrechnung.
einen der unzähligen Arbeitnehmer voraus, deren Existenz an den
Lohnempfang geknüpft ist, während sich die Schuldbefreiung nicht
zum Lebensunterhalt verwenden läfst?, dann sieht man zwar, wie
stark das Interesse des Arbeitgebers ist, sich mittelst Aufrechnung
Befriedigung für eine sonst schwer realisierbare Forderung zu ver-
schaffen , man sieht aber &uch deutlich die Härte und Rücksichts-
losigkeit, mit der dieses Verfahren den Arbeitnehmer angreifen kann ®.
Zur Vermeidung solcher Härte und Rücksichtslosigkeit muls die
Aufrechnungsfreiheit eingeschränkt werden*. Die Aufrechnung sollte
dem Arbeitgeber nur ausnahmsweise gestattet sein, denn sie bringt
den Arbeitnehmer gänzlich oder teilweise um die durch Arbeit ver-
diente Vergütung, während es sich für den Arbeitgeber um Reali-
sierung einer nicht durch seine Arbeit begründeten Gegenforderung
zu handeln pflegt. Die Versagung der Aufrechnung kann für den
Arbeitgeber dem Entzug seines Gegenanspruchs gleichkommen, wenn
Jer schuldige Arbeitnehmer nicht gutwillig zahlt und durch Klage
nicht erreichbar oder zahlungsunfähig ist. Aber dieser in der Re-
alisierung gefährdete Anspruch ist gewöhnlich nicht durch eine
persönliche Leistung des Berechtigten erworben worden, wie es
auf den Zwang, welchem bei Aufrechnung Jemand hinsichtlich seiner Forderung
unterliegt: „Es macht sich diesfalls der Charakter der Aufrechnung als einer
auf positiver gesetzlicher Zulassung beruhenden, dem Gläubiger aufge-
zwungenen Befriedigung, gewissermafsen als Selbstexekution, geltend.“
„Aufrechnung ist nicht Zahlung. Sie ist ihr auch keineswegs völlig
zleichwertig. Denn dem Gläubiger giebt das Erlangen barer Mittel wirt-
zschaftlich eine gröfsere Macht, da es Verwendung zu beliebigen Zwecken
armöglicht“: Dernburg, Das bürgerl. Recht II $& 124 al. 2.
2 z. B. wird aus Goslar von Gutstagelöhnern, die beim Rübenbau be-
schäftigt sind, berichtet: „Diese sind arg verschuldet, allein bei der Guts-
herrschaft bis zu 5—600 Mk. Sie können im Orte nichts mehr geborgt er-
halten und holen es von auswärts. Dazu sind sie gezwungen, weil der Guts-
herr, um sich einigermafsen schadlos zu halten, fortwährend starke
Lohnabzüge, wöchentlich 3—6 Mk. macht, so dafs im Winter eine Familie
mit ca. 6 Mk. (wöchentlich) leben mufs“: Die Landarbeiter in den evang.
Gebieten Norddeutschlands (ed. Weber 1899) II, 173. Die Aufrechnung gegen
die Lohnforderung des Arbeitnehmers setzt diesen möglicherweise aufser
atande, seinen Arbeitnehmern den Lohn zu zahlen: Vorwärts vom 6. Mai
1899 (Verein der Plätterinnen in Berlin).
3 Vgl. die Argumente gegen die Statthaftigkeit der Beschlagnahme noch
nicht verdienten Lohnes bei Schlesinger a. a. O. S. 13. 14. Gleichwohl
ist durch das preufsische Ausführungsgesetz z. BGB. Art. 14 $ 1 Abs. 3 und
das bayrische Art. 21 die Aufrechnung gegen die Lohnforderung des Gesindes
in weitem Mafls zugelassen worden, Vel. oben Einleitung S. 182.