IV. Rechtsquellen. Generalrechtliche Regelung. 17
eine grofßse Zahl, wenn nicht die Mehrzahl der Arbeitsverträge
specialrechtlich geordnet ist. Nur die übrigen unterfallen gänzlich
jenen generellen Regeln. Aufserdem kann der Arbeitsvertrag, soweit
die specialrechtliche Regelung nicht reicht, ergänzungsweise vom Recht
des Dienst- oder des Werkvertrags gedeckt werden, vorausgesetzt
dafs er auch für einen Dienst- oder einen Werkvertrag angesehen
werden kann, Für die Ergänzung ist es gleichgültig, ob das zu er-
gänzende Specialrecht Reichsrecht (z. B. Gewerbeordnung) oder
Landesrecht (z. B. Gesindeordnung) ist!,
Zu der erwähnten Beeinträchtigung des Anwendungsgebietes der
generalrechtlichen Regeln tritt eine gewisse Unsicherheit seiner
Grenzen, indem es von vielen Arbeitsverträgen keineswegs feststeht,
ob sie primär diesen Regeln oder aber einem Specialrecht unterfallen.
Das mag an einem Beispiel von grofser Tragweite erläutert werden,
das durch Art. 95 des Einführungsgesetzes zum BGB. geliefert wird.
Danach bleiben unberührt die landesgesetzlichen Vorschriften, welche
dem Gesinderecht angehören. Diese Vorschriften regeln den Arbeits-
vertrag des Gesindes; er ist specialrechtlich geregelt, sei es wegen
der Person des Arbeitnehmers, sei es wegen der Art oder der Um-
stände der Arbeit. Von den in Rede stehenden generalrechtlichen
Vorschriften des BGB. über den Arbeitsvertrag finden nach dem
eitierten Art. 95 nur die 88 617 -—619, 624 unbedingte Anwendung,
alle übrigen nicht, diese nämlich bloß in Ermangelung specialrecht-
licher Regelung. Wenn aber, von jenen Vorbehalten des Art. 95 ab-
gesehen, der Arbeitsvertrag des Gesindes einem Specialrecht unter-
liegen und dem Generalrecht des BGB. entzogen sein soll, so sollte
feststehen, wann ein Arbeitsvertrag des Gesindes gegeben ist, d. h.
es müfste der Begriff von Gesinde feststehen. Dies ist
auch noch darum geboten, weil dieses Specialrecht, das Gesinderecht,
als Landesrecht aufrecht erhalten ist und neue landesgesetz-
liche Vorschriften darüber erlassen werden können. Da weder das
BGB. noch ein anderes Reichsgesetz den Gesindebegriff bestimmt hat
und derselbe auch in der Litteratur nicht feststeht? — es läßt sich
nur sagen, dafs gewisse Personen sicherlich dazu gehören, andere
sicherlich nieht dazu gehören — so können ihn die Landesgesetze
ı Wenn in Art. 95 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum BGB. einige
Paragraphen des BGB. genannt sind, die auf das Gesindeverhältnis „Anwendung
finden“, so ist damit nicht die Anwendung noch anderer Paragraphen aus-
geschlossen, sondern gesagt, dafs Landesgesetze die Anwendung der genannten
nicht ausschliefsen können.
? Kähler, Gesindewesen und Gesinderecht (1896) S. 128—181.
Lotmar, Arbeitsvertrag. I.