448 II. Abschn. Zahlungszeit. 6. Kap.: Einbehaltung.
{nur gewerbliche Arbeiter und nicht alle), endlich bei dem Mangel
einer Strafsanktion für dieses Gebot der GewO.! muls man den
gesetzlichen Schutz, den der Arbeitnehmer aus GewO. $ 119% gegen
Lohneinbehaltungen geniefst, die der Arbeitgeber sich zu seiner
Sicherung gegen den Arbeitnehmer ausbedingen kann, für äufserst
geringfügig erklären. Dem unparteiischen Betrachter dieser Rechts-
ordnung und der wirklichen Vorkommnisse wird die Möglichkeit, dem
Arbeitnehmer mittelst ausbedungener Einbehaltung einen Teil des
durch Arbeit verdienten und fälligen Lohnes einstweilen vorzuenthalten,
als eine Ungerechtigkeit erscheinen. Gewifßs kann es vorkommen, dafs
der Arbeitnehmer durch Nichtleistung der ferneren Arbeit, zu der er
verpflichtet ist, oder durch eine andere Pflichtverletzung dem Arbeit-
geber kleinen oder grofsen Schaden zufügt, aber dadurch wird nicht
ungeschehen , daß er durch Arbeit Lohn verdient hat. Wenn ihm
dieser Verdienst im Hinblick auf solche mögliche Schaden-
stiftung vorenthalten wird, so läßt sich dieses Verfahren nur daraus
erklären, dafs dem Arbeitnehmer die Mittel nicht zu Gebote stehen
oder nicht zugetraut werden, den etwaigen Schaden durch Zahlung
zu ersetzen. Während ihm angesichts solcher Mittellosigkeit der ver-
diente Lohn gerade dergestalt gesichert sein sollte, daß er ihn
unverzüglich nach der Fälligkeit erhält, so wird im äußersten Gegen-
satz zu diesem Postulat hier seine Mittellosigkeit zum Grund, ihm
den Verdienst vorzuenthalten, und ihn vorzuenthalten nicht wegen
vergangener Handlungen oder Unterlassungen, sondern wegen
künftiger und daher ungewisser. Dafs er gearbeitet hat, ist
sicher, dafs er vertragswidrig nicht arbeiten, Werkzeuge verderben
oder unterschlagen, Geheimnisse verraten werde, ist unsicher. Sonst
— im übrigen Privatrecht — hat man, wenn man den Mitkontrahenten
vertragstreu erhalten will, ihm möglichst günstige Bedingungen zu
gewähren, seinen Vorteil zu engagieren. Hier dagegen begeht man den
fehlerhaften Zirkel, ein dem Arbeitnehmer nicht zusagendes Arbeits-
verhältnis durch ein Mittel faktisch zu befestigen, welches die Anziehungs-
kraft jenes Verhältnisses vermindern mufs. Denn die in Rede stehende
Lohneinbehaltung liefert dem Arbeitgeber ein ebenso bequemes als
billiges Mittel, nicht durch eigene Konzessionen, sondern auf Kosten
des mittellosen Arbeitnehmers selbst, dessen Ausharren im Arbeits-
verhältnis und die Erfüllung des Arbeitsvertrags sicher zu stellen. Der
Arbeitgeber, der sich eine Lohneinbehaltung zu eigener Sicherheit
1 Das zu viel Einbehaltene kann eingeklagt werden und die übermäfsige
Einbehaltung berechtigt zu unbefristeter Kündigung. Vgl. Bericht der
Württemb. Fabrikinspektion für 1898 8. 123.