Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

II. Abschn. Zahlungszeit. 7. Kap.: Verwirkung. 
Die Handhabe- nun, welche die vertragsmäfsige Einbehaltung des 
Lohnes der Verwirkung desselben bietet, ist ein weiterer Grund für 
die Ausdehnung des gesetzlichen Schutzes gegen KEinbehaltung, die 
S. 449 befürwortet worden ist. Inzwischen möchten wir die Be- 
hauptung wagen, dafs schon heute auch die Einbehaltung zur 
Verwirkung nicht unbegrenzt statthaft, sondern nach Ana- 
logie der Einbehaltung zur Sicherung, also nach Maßgabe von GewO. 
$ 119% eingeschränkt ist. Ob nämlich Einer zur Sicherung einer 
Strafforderung oder zur Ermöglichung der Verwirkung den Lohn ein- 
behält, beidemal hat er es — wenn wir die Retention fallen lassen 
und nur an die Aufrechnung denken — schließlich auf Vernichtung 
der Lohnforderung, auf ihre Verzehrung zu eigener Deckung abgesehen, 
und dieses eine praktische Ziel, das nur auf zwei juristischen Wegen 
erreicht wird, wird beidemal durch den nämlichen Akt, die HEin- 
behaltung, vorbereitet, sie bereitet der Aufrechnung wie der Ver- 
wirkung den Boden; darum wird auch so oft ohne Unterscheidung 
der zwei Wege das Einbehaltene schlechthin als Kaution bezeichnet, 
Hieraus nun möchten wir schließen, daß die Einbehaltung zur 
Verwirkung, wenn es sich um Verwirkung für den Fall des Ver- 
tragsbruchs des Arbeitnehmers handelt, nur in den Maifsen statthaft ist, 
welche GewO. 8 119° für die Einbehaltung zur Sicherung einer 
für jenen Fall verabredeten Strafe vorschreibt‘. Die Beschränkung 
der ersteren ist um so mehr zu befürworten, als die Verwirkung an 
sich, anders als die Aufrechnung, wenig beschränkt ist. 
V. Von der Einbehaltung behufs Verwirkung kehren wir zur 
Verwirkung selbst zurück. Da die Verwirkung, mit und ohne Ein- 
behaltung, zur Einbuße verdienten Arbeitslohnes führt, so mufs sie 
für den auf Arbeitsverdienst angewiesenen Arbeitnehmer sehr empfind- 
lich sein. Zwar kann sie ihn nicht so leicht angreifen, als die Auf- 
rechnung, weil sie vereinbart worden sein muß (S. 455). Aber der 
Arbeitnehmer, für den sie besonders empfindlich ist, ist meist auch 
ı Den folgenden Passus eines Arbeitsvertrags, den die Arbeiter der 
Zwickauer Malzfabrik von A. Sieber eingehen — Arbeiter, die vom 1, Sept. 
bis 15. Juni pro Monat 75 Mk. und 3 Mk. Biergeld, in den übrigen 21/2 Monaten 
35 Pf. pro Stunde bekommen — halten wir daher in analoger Anwendung des 
$ 119% GewO., weil deren Einbehaltungsschranken überschreitend, für ungültig: 
„5. Ich willige ein, dafs mir an den ersten sechs Lohntagen je 5 Mk. in Ab- 
zug gebracht werden, und sollen diese alsdann angesammelten 30 Mk. als 
Kaution liegen und sofort verfallen sein, wenn ich meine Versprechungen 
nicht erfülle, oder wenn eine sofortige Entlassung ... vorgenommen werden 
müfste,.“ Vorwärts vom 9. Sept. 1900. S. auch S. 4638.
	        
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