V. Notwendigkeit des Thatsachenstudiums, 25
eine gewaltige Rolle, sowohl nach der Zahl von Fällen, in denen sie
vorkommt, als nach der ökonomischen Bedeutung, die sie im einzelnen
Fall besitzt. An dieses für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich
wichtige Institut knüpfen sich nicht wenige Rechtsfragen des Arbeits-
vertrags. Aber man kann von seiner Stellung im Arbeitsvertrag aus
den ihn regelnden Gesetzen keine Vorstellung gewinnen, da diese
Gesetze seiner kaum Erwähnung thun. Zur gerichtlichen Kognition
kommende Streitigkeiten um die Naturalvergütung sind selten. Das
Material für ihre juristische Bearbeitung mufs daher eigens aufgesucht,
und die für die Geldvergütung bestimmten Regeln müssen dem ab-
weichenden 'Thatbestand angepafst werden. Kin weiteres Beispiel
liefern die Accorde in der Heimarbeit, wofern sie als Dienstverträge
anzusprechen sind. Für die als solche zu behandelnden Accorde, die
zu den 'nämlichen Rechtsfragen Anlaß geben wie die im Werkver-
tragsrecht beantworteten, ist im Dienstvertragsrecht so gut wie keine
Vorsorge getroffen. Dieses breiten Vakuums kann man erst dadurch
inne werden, dafs man die wirklichen Hergänge verfolgt. Wer nur
von den Gesetzen und von der Spruchpraxis aus die juristische Dar-
legung des Arbeitsvertrags unternimmt, wird bedeutende Erscheinungen
und Probleme übersehen. Dies giebt sich am deutlichsten beim Tarif-
vertrag kund, dem Vertrag, der von einem oder mehreren Unter-
nehmern mit einer Mehrheit von Arbeitern über die Bedingungen
künftiger Arbeitsverträge abgeschlossen wird. Dieses unzählige Arbeits-
verträge beeinflussende und unzählige Konflikte aus solchen hintan-
haltende Gebilde gehört dermaßen zum Arbeitsvertrag, dals es mit-
unter fälschlich als Arbeitsvertrag oder kollektiver Arbeitsvertrag be-
zeichnet wird. Allein in den Rechtsquellen wird seiner nicht gedacht,
und die Rechtsprechung hat sich noch wenig mit ihm befafst. Über
seinen Thatbestand und seine Leistungen informieren nur die aulser-
halb der Gesetze und der Spruchsammlungen liegenden Vorkommnisse,
die in den letzten Jahren einen unübersehbaren Umfang angenommen
haben.
Die Kenntnis der faktischen Unterlage, deren man zur Entwick-
jung des Rechts vom Arbeitsvertrag bedarf, ohne welche Mafs und
Richtung seiner Wirksamkeit nicht vollständig zu begreifen sind, kann
grofsenteils nicht durch die Einbildungskraft ersetzt oder aus den
Gesetzen gewonnen werden. Das hieraus folgende Erfordernis, der
Welt der Thatsachen eine eigene Aufmerksamkeit zuzuwenden, macht
sich besonders gegenüber denjenigen Arbeitsverträgen geltend, an
denen die Besitzlosen als Arbeitnehmer beteiligt sind. Denn hier