VI. Bedingte Kündigung.
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Bedingte Kündigung von Arbeitsverhältnissen wird aber nicht erst
durch diese gesetzliche Bestimmung ermöglicht, sondern gehört
ohnedies zu den gewöhnlichen, auch amtlich registrierten und nicht
auf den Werkvertrag beschränkten Vorkommnissen. Die bedingte
Kündigung, von Arbeitgebern oder von Arbeitnehmern ausgehend, ist
im Leben so häufig anzutreffen, dafs sie auch von der Doktrin nicht
in Abrede und aufser Rechnung gestellt werden sollte. Ihre praktische
Bedeutung mögen einige Beispiele erläutern.
In großem Mafsstab auf zahlreiche Personen bezogen, wird die
bedingte Kündigung von beiden Parteien als Pressionsmittel im Kampf
um vorteilhafte Bestimmungen für den Arbeitsvertrag angewandt,
indem gekündigt wird für den Fall der Ablehnung einer gewissen
Werkstattordnung, eines neuen Tarifs, einzelner Positionen einer
Tarifvertragsofferte *‘, Solche Erklärungen rufen nicht selten eine be-
dingte Kündigung des Empfängers der bedingten Kündigung hervor ®.
Eine ebenfalls häufige Bedingung hängt mit der gewerblichen Vereins-
freiheit zusammen: es wird gekündigt seitens des Arbeitgebers für
den Fall der Arbeitnehmer nicht seine Berufsorganisation verläfst®,
oder seitens der Arbeitnehmer für den Fall der Arbeitgeber nicht
einen der Berufsorganisation fern gebliebenen Arbeitnehmer entläfst *.
Es wird ferner bedingt gekündigt z. B. für den Fall der Arbeitnehmer an
einem bestimmten Tage ausbleibt, oder sich weigert, eine gewisse
Arbeit auszuführen, sich auf Sonntagsarbeit einzulassen, in einen
anderen Betrieb überzutreten u. s. w.°. ;
Da wir hier nur die Zulässigkeit und Wirksamkeit der bedingten
Kündigung überhaupt erörtern, so liegt aufserhalb unserer Aufgabe
ie
1 z. B. Württemberg. Fabrikinspektion für 1898 S. 125: „... die vor-
genannten Forderungen an die Inhaber der 15 gröfseren Schreinereien in G.
gesandt mit gleichzeitiger Kündigung auf den 12. April für den Fall, dafs
die Forderungen bis 12 Uhr mittags genannten Tages nicht bewilligt werden
sollten.“
? Einen Komplex bedingter Kündigungen beider Parteien a, a, 0, S. 78.
3 z. B. Soziale Praxis X, 418; „Eine Buchdrucker-Mafsregelung. Das
Amtsblatt von Dortmund ... hat die in der Offizin des Blattes stehenden
Verbandsmitglieder aufgefordert, bis 15. d. M. schriftlich zu erklären, dafs sie
aus dem Verband austreten: anderenfalls sollten sie ihre Stellung als ge-
kündigt betrachten.“ Sächsische Gewerbeinspektion für 1898 S. 21. Legien,
Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter (1899) besonders S. 127. Weigert,
Arbeitsnachweise $. 11. 13, Soz. Praxis XI, 253. Vgl. oben S. 2181,
4 Fälle führt an die „Denkschrift betr. die Ausschreitungen bei den
Arbeitskämpfen der letzten Jahre“ (1899) S. 9 fg.
5 z. B. Unger, Entscheidungen Nr. 149. Gewerbegericht III, 106. VI, 122.
Soziale Praxis VI, 105 u. 8. w.
Lotmar, Arbeitsvertrag. I.