700 V. Abschn. Naturalvergütung. 4.‘Kap.: Erwerbsgelegenheit.
Ein solcher Fall ist privatrechtlich sehr verschieden von dem, wo
der Gastwirt dem Kellner als Entgelt für die Kellnerarbeit die Ge-
legenheit zu Trinkgeldeinnahmen gewährt. Denn hier hat der Arbeit-
geber dem Arbeitnehmer nicht eine Geldzahlung versprochen und nicht
sinen Dritten verpflichtet, eine-solche an seiner statt zu machen,
ınd es macht auch der Dritte die Geldzahlung nicht für Rechnung
»iner Schuld, die ihm gegenüber dem Arbeitgeber des Kellners obliegt.
Diese privatrechtlichen Unterschiede werden von Rosin nicht
berücksichtigt, wenn er den Fall des Kellners dem des Maschinisten
der Dreschmaschine als gleichartig an die Seite stellt und es für eine
„höchst künstliche Deduktion“ erklärt, dafs die Einräumung der Ge-
jegenheit zum Trinkgelderwerb als Naturalleistung des Arbeitgebers,
als Naturalvergütung betrachtet wird!. Da aber weder der Wirt das
Trinkgeld zahlt oder zahlen läfst (solvi jubet), noch der Gast es im
Namen oder für Rechnung des Wirtes zahlt, weil sich der Gast um
das Rechtsverhältnis des Kellners zum Wirt nicht kümmert. und das
Trinkgeld nur wegen seiner eigenen Beziehung zum Kellner, in eigenem
Namen und für eigene Rechnung zahlt, und da endlich der Gast das
Trinkgeld dem Wirte rechtlich so wenig schuldig ist als dem Kellner ?,
so kann das Trinkgeld nur dadurch in Berührung mit dem zwischen
Wirt und Kellner bestehenden Arbeitsverhältnis gebracht werden, dafs
man seinen Empfang als Realisierung einer Erwerbsgelegenheit be-
trachtet, die der Wirt dem Kellner eingeräumt hat, um diesem damit
eine Vergütung zu gewähren. Ist aber die Einräumung einer Er-
werbsgelegenheit eine Vergütung, so kann sie nur Naturalvergütung
sein, da sie nicht eine Geldvergütung ist.
III. Nicht jede Gewährung einer Erwerbsgelegenheit ist Natural-
vergütung aus einem Arbeitsvertrag. Ökonomisch betrachtet, wird
durch jeden Abschluß eines Arbeitsvertrags, wie auch durch jede
Vermittlung eines solchen Abschlusses eine Gelegenheit zu Erwerb
vewährt. nämlich zum Erwerb der im Arbeitsvertrag vereinbarten
1 Er wendet sich damit gegen eine von ihm citierte Entscheidung bei
Mugdan und Freund, Entscheidungen der Gewerbedeputation des Magistrats
zu Berlin I S. 89 Nr. 183.
® Dafs der Kellner „ein gutes Recht auf sein Trinkgeld“ habe und zwar
bach „geltendem Gewohnheitsrecht“, wird von Oldenberg, Der Kellnerberuf
S. 37 (aus Schmollers Jahrbuch, N. F. XVII) angenommen. Nach S. 17 soll
dagegen dieses Trinkgeld in der Mitte zwischen Arbeitslohn und Almosen
stehen. Es gehört vielmehr- zu denjenigen Leistungen, von welchen BGB,
S 814 sagt, dafs sie „einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht“ ent-
sprechen. S. auch 8 534 und oben S. 150/51.