704 V. Abschn. Naturalvergütung, 4. Kap.: Erwerbsgelegenheit.
gewiesen sei“, d.h. derselben bedürfe. Ferner ist teils durch private
Untersuchungen *, teils durch von der gedachten Kommission ver-
nommene Auskunftspersonen festgestellt, daß die Trinkgelderwerbs-
gelegenheit bei Gastwirtsgehülfen in allen oben angegebenen Varie-
täten vorkommt”. Diese Art von Vergütung ist überall da (aber
nicht blofs da) anzunehmen, wo bei den fraglichen Arbeitnehmern der
Geldlohn fehlt oder so niedrig ist, dafs er nur wie ein Taschengeld
erscheint (S. 163 zu *)®*, während die etwa noch gewährte Kost oder
Wohnung für jene Annahme nicht ins Gewicht fällt“. Es ist daher
üblich, von Gastwirtsgehülfen zu sagen, sie seien gänzlich auf Trink-
gelder angewiesen, sobald sie des Geldlohnes entraten ®.
Die Thatsache, dafs sich das Publikum in Ansehung der mit ihm
in Berührung kommenden Gastwirtsgehülfen von deren Arbeitgeber nicht
vorschreiben läfst, ob und wem es Trinkgeld geben soll®, darf nicht
verleiten, der Gelegenheit zum Trinkgelderwerb den Charakter einer
Naturalvergütung abzusprechen: weil sich jene Gelegenheit aus der
Stellung und Bethätigung als Gastwirtsgehülfe von selbst ergebe, lasse
sich nicht von Einräumung jener Gelegenheit durch den Arbeitgeber
and somit nicht von Gewährung einer Vergütung reden. Vielmehr
hat der Arbeitgeber nicht blofs thatsächlich grofsen Einfluß auf die
! Schippel in Neue Zeit (1891) II, 103—5. 148. Cohen in Brauns
Archiv V, 105—7. Oldenberg, Der Kellnerberuf 8. 183 fg. Hirschberg,
Soc. Lage der arbeitenden Klassen in Berlin S. 258, 259. Trefz, Das Wirts-
gewerbe in München 8. 189/90. 203. 214. 215. Vgl. auch Ihering, Trinkgeld
S. 29 und Kleinpaul, Trinkgeld in Italien S. VIII. Zimmermann, Der
Trinkgelderunfug (Zeitschr. f. d. ges. Staatsw. 55, 115) schätzt die Zahl der Kellner,
‚die nur von den Trinkgeldern zu leben haben“, für Deutschland auf 20 000.
2? S. z. B. Komm. f. Arbeiterst., Verhandlungen Nr. 16 8. 6. 7. 10. 12. 15/6.
21. 79. 87. 91. 92, ferner Verhandlungen Nr. 17 8. 54. .
* z. B. Erhebungen Nr. 9 S. 35. 839 (Restaurants des deutschen Reichstags.
und des preufsischen Landtags). „In Königsberg bekommen 91,8 % der be-
fragten Kellnerinnen kein Gehalt und 8,2% ein solches von 5 Mk. und weniger“
(per Monat): Verhandlungen Nr. 17 S. 55, Wegen Zimmermädchen in den
Gasthöfen der Kurorte siehe den Bericht bei Stillich, Lage der weiblichen
Dienstboten in Berlin S. 180.
4 Geschieht es doch, dafs der Geldlohn von Kellnerinnen des nämlichen
Betriebes gleich grofs ist, obwohl die einen beim Prinzipal wohnen, die anderen
auf eigene Kosten anderswo logieren: Verhandlungen Nr. 16 8. 81.
5 Verhandlungen Nr. 16 8. 2/8: in Berlin nach Ermittlungen des Statistischen
Amtes „bei den Portiers der Verdienst sogar nur aus Trinkgeldern bestehend“. —
Cohen in Sociale Praxis VIII, 779.
‚ % Vgl. Verhandlungen Nr. 16 S. 83. Andererseits kommt es vor, dafs
der Wirt dem Kellner die Annahme des Trinkgeldes zur Pflicht macht, ihn
entläfst, wenn er sie verweigert, da dies den Gast beleidige: S. 79.