Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

IV. Trinkgelderwerb. Einfluls des Arbeitgebers, 705 
fragliche Erwerbsgelegenheit, indem er bei der Direktion der Arbeit 
jene Gelegenheit zu schmälern und zu entziehen vermag, sondern sein 
Einflufs kann auch durch den Arbeitsvertrag geregelt sein. Da hier- 
durch der Arbeitnehmer einen rechtlichen Anspruch auf ein gewisses 
Verhalten des Arbeitgebers gegenüber der Erwerbsgelegenheit erlangt, 
mufs von Gewährung solcher Gelegenheit durch den Arbeitgeber ge- 
sprochen werden !, 
Der durch den Arbeitsvertrag? regulierbare Einflufs des Arbeit- 
gebers auf Dasein und Umfang der Gelegenheit zum Trinkgeldverdienst 
zeigt sich vornehmlich in folgendem. Er kann von seinen Angestellten 
den einen zur Empfangnahme der von den Gästen dem Wirt ge- 
schuldeten Zahlungen bevollmächtigen, den anderen nicht: die meisten 
Trinkgelder werden anläfslich solcher Zahlungen gegeben. Diese Ein- 
teilung des Personals kann eine wechselnde oder eine ständige sein, 
indem manche Arbeitnehmer zur Empfangnahme der Gastzahlungen 
ausschließlich legitimiert und damit vorzugsweise der Trinkgeldquelle 
nahe gebracht sind. Oder der Arbeitgeber regelt diese Vollmacht 
lokal, indem er den Arbeitnehmern gewisse Bezirke (Stockwerke, 
Reviere) zuweist, unter welchen auch Unterschiede der Ergiebigkeit 
bestehen können ?. 
Ferner macht sich die Einwirkung des Arbeitgebers geltend in 
der Verfügung, die eingehenden Trinkgelder in gewissem Mafs unter 
bestimmte Arbeitnehmer zu verteilen, sei es dafs jeder von ihnen 
seinen Erwerb konferieren oder zum Gemeingut machen muls, sei es 
dafs der Arbeitgeber z. B. durch Aufstellung einer Sammelbüchse dem 
erwähnten Verfahren Vorschub leistet“. 
Der Arbeitgeber kann endlich den Trinkgelderwerb des Arbeit- 
ı HGB. 8 543 handelt von einer durch den Beruf gebotenen Erwerbs- 
gelegenheit des Seeschiffers, die ihm aber vom Gesetz verschlossen wird: 
„Was der Schiffer vom Befrachter, Ablader oder Ladungsempfänger aufser 
der Fracht als Kaplaken, Primage oder sonst als Belohnung oder Entschädigung, 
gleichviel unter welchem Namen, erhält, hat er dem Rheder als Einnahme 
in Rechnung zu bringen.“ Dies ist nachgiebiges Recht (Kommentare von Lewis 
und Schaps z. d. St.), es kann daher jene Erwerbsgelegenheit dem Schiffer von 
seinem Arbeitgeber ganz oder teilweise eröffnet und ihm damit eive Natural- 
vergütung gewährt werden. 
2 in Grofsbetrieben zunächst durch die sog. Hausordnung, z. B. Kom- 
missionsprotokoll des Internat. Vereins der Gasthofbesitzer in Drucksachen 
der Komm. f. Arbeiterstat., Erhebungen Nr, 9 S. 91. 
3 Cohen in Brauns Archiv V, 107. Schmidt, Kellners Weh’ und 
Wohl (1896) S. 32, 
4 7. B. Komm. f, Arbeiterst., Verhandlungen Nr. 16 S. 12. 22. 77. Lage 
ges Handwerks VII, 484 (Berliner Friseur- und Barbiergeschäfte). 
Lotmar. Arbeitsvertrag. I. 45
	        
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