IV. Trinkgelderwerb. Angebliche Pacht, Tonnenpacht. 707
von einem Gewerbegericht, das darum seine Zuständigkeit für die Klage
des Kellners gegen den Wirt irrtümlich verneint hat*. Anders und richtig
wurde beurteilt die Klage eines Hausburschen gegen den Hotelier, der
jenem für die häuslichen Dienste sowie für die Geleitung der Reisenden
vom und zum Bahnhof nebst Gepäckbesorgung keinen Geldlohn ge-
währte, sondern nur die Gelegenheit zum Trinkgelderwerb mit Abzug
von wöchentlich 27 Mk., die dem Hotelier abzuliefern waren. Hier
wurde mit Recht ein gewerbliches Arbeitsverhältnis anerkannt?.
Bei Annahme von Pacht giebt man dem Wirt die Doppelstellung
des Arbeitgebers und des Verpächters nicht nur gegenüber ver-
schiedenen Mitgliedern seines Personals, sondern auch gegenüber der
nämlichen Person, wenn z. B. der Oberkeillner aus dem Trinkgelde
zahlt und freie Station erhält. Betrachtet man solchen Oberkellner
teils als Arbeitnehmer, teils als Pächter, so ist nicht erklärlich, warum
seine Arbeit nur hinsichtlich der freien Station als Leistung an den
Wirt gelten und für die Pacht von jener Leistung abstrahiert werden
soll. Schliefslich ist nicht zu übersehen, dafs die faktische Stellung des
Kellners zum Wirte wie zum Publikum völlig die gleiche ist, ob er
außer der Verdienstgelegenheit auch Kost und Gehalt bekommt, oder
ob er kein Gehalt bekommt und die Trinkgeldeinnahme ganz behält,
oder endlich, ob ihm dieselbe nicht ganz zukommt, indem er einen
Teil davon abzuliefern hat. Gleichwohl in den beiden ersten Fällen
Arbeitsverhältnis und im dritten Pachtverhältnis anzunehmen, würde
eine unjuristische Entstellung des dritten Thatbestandes sein®. —
Die Naturalvergütung der Gewährung einer Gelegenheit zum
Gelderwerb kommt im Gastwirtschaftsbetriebe auch in einer zweiten
Anwendung vor, bei der es sich nicht um Trinkgeld handelt, die
Gelegenheit vielmehr durch Kontrakte realisiert wird. Auch hier ist
Vgl. Trefz, Wirtsgewerbe S. 2034. Gegen die Ausdrucksweise wäre
natürlich nichts einzuwenden, wenn sie nicht die juristische Mifsdeutung be-
fördern würde.
1 Das Gericht sei nicht zuständig, weil kein gewerbliches Arbeits-
verhältnis vorliege, die Abgabe der 2% vom Trinkgeldeinkommen kennzeichne
das Verhältnis als Kompagniegeschäft oder als Pachtung: Vorwärts vom
13. Nov. 1898.
% Karlsruher Gewerbegericht in Gewerbeger, I, 71. Treffend ist auch
die weitere Annahme, bei einem solchen Abkommen hänge die Zahlungspflicht
davon ab, dafs aufser dem zu zahlenden Betrag das zur Bestreitung des
Unterhalts Erforderliche an Trinkgeld eingenommen worden sei,
3 Die Abgabe des Kellners an den Wirt wird nicht selten als Zahlung
für „Bruch“, d. h. für zerbrochenes Geräte: bezeichnet. Der Wirt pflegt
dadurch für den Verlust von Inventarstücken mehr als gedeckt zu werden.
Vgl. eit, Verhandlungen Nr, 16 S. 76.