714 V. Abschn. Naturalvergütung. 4. Kap.: Erwerbsgelegenheit.
Wenn dagegen der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag nicht ver-
pflichtet ist, seine ganze ordentliche Arbeitszeit auf den Vollzug des
Arbeitsvertrags zu verwenden, so kann er durch das Verlangen, seine
Erwerbsgelegenheit auszunutzen, bewogen werden, dem Arbeitgeber
weniger Zeit zur Verfügung zu stellen *.
VII. Mannigfaltiger als die eben besprochenen sind die Fälle,
bei denen die Erwerbsgelegenheit anläfslich der Vollziehung des
Arbeitsvertrags sich bietet und genossen oder realisiert wird. Hier
ergeben sich Unterschiede nach der Thätigkeit, in welcher dieser
Vertragsvollzug besteht. Es kann erstens sein, dafs der Arbeitnehmer
nur den von einem Dritten mit dem Arbeitgeber persönlich ge-
schlossenen Arbeits-, Miet- oder Kaufvertrag erfüllt oder erfüllen hilft
und damit die ihm selbst obliegende Arbeitsleistung macht. In dieser
Lage befinden sich beim Gastwirtsgewerbe zahlreiche Angestellte des
Wirtes, die durch blofs faktische Handlungen (wie Reinigung, Aus-
kunfterteilung, Wecken, Botschaft) oder durch Vornahme von Rechts-
geschäften (vornehmlich Traditionen) innerhalb ihres Arbeitsverhält-
nisses Gelegenheit zu Trinkgeldeinnahmen haben. In der nämlichen
Lage sehen wir Friseur- und Barbiergehülfen, Badediener, in Berlin
die sog. Ziehmänner?, manchenorts die Maschinisten auf kleinen Ver-
enügungsdampfern* und in weiterem Mais die Knechte in der Land-
wirtschaft, die anläfslich des Verkaufs von Tieren durch ihren Arbeit-
geber vom Käufer beträchtliche Trinkgelder erhalten*. — Es kann
nisse setzen nicht voraus, dafs die Landnutzung als Vergütung gewährt sei;
sie sind auch mit Pacht vereinbar, ebenso mit Eigentum am Boden. Vgl.
Frankenstein, Arbeiterfrage in der deutschen Landwirtschaft (1893)
S. 23 Anm.
1 Vgl. Verhältnisse der Landarbeiter II, 609. 610.
2? die bei Umzügen als Arbeitnehmer des Fuhrherrn (welcher aus einem
Arbeitsvertrag dem Umziehenden zum Möbeltransport verbunden ist) die Ein-
und Ausladung und Wiederaufstellung des Hausrats zu vollbringen haben,
und als Vergütung erhalten die Gelegenheit zum Erwerb von Trinkgeld aus
der Hand des Umziehenden.
3 Tönnies in Brauns Archiv X, 207. Legien, Streik der Hafenarbeiter
in Hamburg (1897) S. 32. Protokolle der Senatskommission S. 337—40,
4 Verhältnisse der Landarbeiter I, 158. Bei den im ecit. Werke an zahl-
reichen Stellen erwähnten Trinkgeldern, die von Knechten und Mägden, vor-
nehmlich den mit Wartung und Aufzucht der Tiere betrauten, meist beim
Verkauf der Tiere eingenommen werden, bleibt oft fraglich, von wem die
Zahlung herrührt. Das vom Arbeitgeber Bezahlte gehört selbstverständlich
nicht hierher. S. z. B. 1. e. I, 110. 212. II, 18. 50fg, 81. 88. 185 und sonst.
I1I, 547.