Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

744 V.Abschn. Naturalvergütung. 7,Kap.: Vergleichung v. Geld-u. Naturalverg. 
Zu einer Ausdehnung der Arbeitszeit, Verringerung oder Unter- 
brechung der Ruhezeit giebt auch die in Kost oder Wohnung be- 
stehende Naturalvergütung Anlafs, wo damit Hausgemeinschaft ver- 
bunden ist, und vorzüglich wenn die Arbeitsstätte nahe liegt (S. 696). 
Die meisten Fälle dieser Art bieten die Arbeitsverhältnisse der 
städtischen Dienstboten!. Der Zusammenhang von Länge der Arbeits- 
zeit und freier Station beim Arbeitgeber ist für Handlungsgehülfen 
statistisch nachweisbar”. Vornehmlich bei Kellnern wird geklagt, 
dafs sie, wenn im Hause verköstigt; ihre Mahlzeiten nur notdürftig 
halten können®. Aber auch noch in manchen anderen Gewerben 
zeigt sich, dafs die Naturalvergütung, welche in Verpflegung beim 
Arbeitgeber besteht, leicht zur Quelle der Verlängerung und der 
Regellosiekeit der Arbeitszeit wird *. 
VI. Fast allen Arten der Naturalvergütung, am meisten der mit 
Hausgemeinschaft verbundenen ist es eigen, dafs sie die Freiheit und 
die Selbständigkeit des Arbeitnehmers verkleinert, meist zu gunsten 
äes Arbeitgebers. Freiheit und Selbständigkeit des Arbeitnehmers 
pflegen bei Geldlöhnung gröfser zu sein. 
Schon im vorausgehenden behandelte Eigentümlichkeiten der 
Naturalvergütung können mittelbar zu der nun in Rede stehenden 
Beeinträchtigung des Arbeitnehmers führen. Dazu kommt ferner die 
in Sociale Praxis VIII, 781. Trefz, Wirtsgewerbe S. 210: „Das Trinkgeld 
zerlängert die Arbeitszeit.“ 
1 Vgl. S. 4821. 4841 und Stillich, Lage der weiblichen Dienstboten in 
Berlin S. 115 fg. 
? Adler, Lage der Handlungsgehülfen S. 33. 35. 69-—72, 77, 168: „Darum 
aber auch will er (der Prinzipal) andererseits die Arbeitskraft dieses Personals 
aufs äufserste ausnützen, führt die längst mögliche Arbeitszeit ein, kürzt die 
Pausen, indem er die durch die freie Station des Personals ständig gebotene 
Arbeitsbereitschaft desselben in Anspruch nimmt . . .“ 
+ Komm. f. Arbeiterstat., Verhandlungen Nr. 16 S. 11. 15. Oldenb erg, 
Kellnerberuf S. 11: „Schon um die Zeit besser auszunutzen, darf der Kellner 
aicht zu Tische oder zu Nacht nach Hause gehen.“ Schmidt, Kellners 
Weh’ und Wohl 8. 21. 82. Trefz, Wirtsgewerbe in München 8. 217: „zum 
Essen keine besonderen Pausen bewilligt, sondern die Speisen werden in 
gelegentlichen Momenten hastig hinuntergeschlungen.“ 
*4 Cit. Verhandlungen Nr. 10 S. 74. 92/8 und mit Bezug hierauf Er- 
hebungen Nr. 10 S. 50: „Dafs Gesellen auf das Mittagessen beim Meister 
verzichten, obgleich sie im Wirtshause mehr dafür ausgeben müssen, nur um 
in der dann gesicherten einstündigen Mittagspause Zeit zu ihrer Erholung zu 
haben.“ Lage des Handwerks VII, 483. Wiener Lohnarbeiterinnen S. 252. 
Lage der deutschen Holzarbeiter (1899) S. 25. Württemb. Fabrikinsp. f. 1898 
S. 125.
	        
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