VII. Verdrängung der Natural- durch Geldvergütung. 751
Werke. Und da ihnen im verflossenen Jahrhundert in den Lebens-
äufserungen des Kapitalismus, namentlich Maschinerie und Grofßbetrieb,
neue zur Seite getreten sind, so kann die Entwicklung nicht als ab-
geschlossen betrachtet und mufß ihr weiteres Vorschreiten erwartet
werden.
Denn zunächst im Gewerbe ist leicht ersichtlich, wie zwar der
Handwerksmeister im Rahmen der eigenen Haushaltung den paar
Gesellen und Lehrlingen Wohnung und Nahrung innerhalb der Haus-
gemeinschaft zu gewähren vermag, hingegen der Arbeitgeber des
Grofsbetriebs, der sich Scharen von Arbeitnehmern gegenübersieht,
nicht mehr imstande ist, die nämliche Naturalvergütung zu beschaffen.
Kommt es in solchen Grofßbetrieben vor, dafs der Arbeitgeber Wohnung
oder auch nur Unterkunft als Naturalvergütung gewährt, so ist dies
nicht die naturwüchsige, in der Konsumtionssphäre des Arbeitgebers
liegende. Es ist vielmehr eine künstliche Veranstaltung, die entweder
den Betrieb erst ermöglicht (z. B. Obdach für Ziegler, Eisenbahn-
bauarbeiter) oder, indem sie gleich einer Wohlfahrtseinrichtung zur
Heranziehung eines Arbeiterstammes bestimmt ist (S. 684 fg.), der
Erhaltung des Betriebes dienen soll. Sieht man von den verhältnis-
mäfig geringen Naturallöhnen ab, die in Bier, Cigarren u. dgl. ge-
währt werden, so ergiebt sich in den Grofsbetrieben, aufser im See-
schiffahrts- und im Gastwirtsgewerbe, die Naturallöhnung nicht leicht
aus dem Betriebe selbst und kann sich daher hier schwerlich be-
haupten. Und ihr Schwinden auf diesen Stufen wird ihren Fortbestand
in den engeren Kreisen erschüttern. Jede Verbesserung, welche das
Arbeitsverhältnis in den Augen der Arbeitnehmer des gleichen Berufes
erfährt, wird ohne Rücksicht auf den Mafsstab des Betriebs zum
Ideal der Berufsgenossen. Eine Brotfabrik z. B., welche Kost- und
Logisgewährung abschafft, stärkt damit die Bäckergesellen der Klein-
betriebe im Streben nach dieser Abschaffung.
Selbst in der Landwirtschaft läfst sich das Zurückweichen der
Natural- vor der Geldvergütung zum Teil auf das Vorbild der Industrie
zurückführen, die mit der Landwirtschaft verbunden ist oder in der
Nähe betrieben wird!. Aufserdem steht diese Entwicklung auch unter
dem unmittelbaren Einflufs des Kapitalismus. Denn wo sich mit
grofsem Grundbesitz grofße Betriebskapitale in einer Hand vereinigen,
wo dadurch intensiverer Betrieb ermöglicht wird und wiederum be-
ı Vgl. Grofsmann in Verhältnisse der Landarbeiter II, 487. Stieger
Landarbeiterfrage S. 23. Fiedler, Arbeiterfrage auf dem Lande S. 104.
Landarbeiter in den evang, Gebieten II, 123.