III. Form: Zweiseitigkeit, Kontrahenten, koalierte Mehrheiten. 765
schaft ist nur die Voraussetzung für die Schliefsung eines Tarifvertrags
durch diejenige Partei desselben, welche aus einer Mehrheit besteht.
Ein Tarifvertrag ist demnach erst da gegeben, wo die Verein-
barung über die Lohn- und Arbeitsbedingungen künftig zu schließen-
der Arbeitsverträge von denjenigen Personen getroffen wird, welche
in diesen Arheitsverträgen als Arbeitgeber und Arbeitnehmer einander
gegenüberstehen sollen*. Diese Personen, die Kontrahenten oder ur-
sprünglichen Subjekte des Tarifvertrags, sind hiernächst ins Auge zu
fassen.
Bei den Urhebern des Tarifvertrags ist auf der Seite der Arbeit-
geber eine Mannichfaltigkeit anzutreffen, welche auf der Arbeitnehmer-
seite nicht möglich ist. Arbeitgeberseits kann nämlich von einem Ein-
zelnen kontrahiert werden, oder von einer Mehrheit. Der Einzelne
kann eine natürliche Person sein (z. B. ein Fabrikant), oder eine
juristische (z. B. Aktiengesellschaft, Stadtgemeinde, Fiskus, man denke
an Artillerie- oder Kisenbahnwerkstätten). Werden inhaltlich gleiche
Propositionen mehreren Arbeitgebern einzeln gemacht und an-
genommen *, oder gehen solche Propositionen von mehreren einzeln
aus und finden die Annahme der nämlichen Arbeitnehmer, so liegt
doch nicht ein Tarifvertrag mit einer Mehrheit von Arbeitgebern,
sondern eine Mehrheit von (inhaltlich gleichen) Tarifverträgen vor,
gemäfs der Mehrheit von Propositionen. Diese mehreren Tarifverträge
können z. B. mittelst Kündigung zu verschiedenen Zeiten auf-
gehoben werden, wovon bei einem Tarifvertrag natürlich nicht die
Rede sein kann. Hingegen ein Tarifvertrag mit einer Mehrheit
von Arbeitgebern kann nur dadurch zu Stande kommen, dafs den
mehreren Arbeitgebern zusammen der nämliche, also nur ein Ver-
tragsvorschlag gemacht und von ihnen angenommen wird, oder um-
gekehrt. Dals hier eine Mehrheit auf einer Seite zusammen kontra-
hiert, hindert nicht die Einheit des Tarifvertrags, wie doch auch,
wenn Mehrere zusammen ein Haus kaufen, nur ein Kaufvertrag statt-
findet. Dafs beidemal die Rechtswirkung des Thatbestandes sich auf
Mehrere erstreckt, thut anerkanntermafsen der Einheit des Thatbestandes
keinen Eintrag. Wenn nun mehrere Arbeitgeber zusammen einen
ı Eine solche Vereinbarung der entgegengesetzten Parteien kann in
einem vereinbarten Vertragsformular zum Ausdruck kommen, Beim Tarif-
vertrag findet sie nicht diesen Ausdruck: S. 235. 286.
% Vornehmlich aber nicht allein im Bäckergewerbe kommt es vor, dafs
die Arbeitnehmer ihren Tarifvertrag den Arbeitgebern einzeln zur Annahme
mitteilen. Beispiele in: Die Entwicklung des Verbandes der Bäcker (Ham-
burg 1900}.