IV. Abgrenzung vom Arbeitsvertrag. 767
Normenkreises. Es wäre ein innerer Widerspruch, diesen Zweck durch
Abrede mit einem Arbeitnehmer oder durch Summierung von Abreden
erreichen zu lassen, die mit mehreren getroffen sind. Letzteres wäre
Negation der kollektiven Vertragschliefsung und würde unerklärt
lassen, welchen Vorteil die dem Arbeitsvertrag vorangehende generelle
Festsetzung seiner Bedingungen haben soll, wenn die Isolierung be-
stehen bleibt. Auch auf der Arbeitnehmerseite hindert die Mehr-
heit der Kontrahenten, die zusammen kontrahieren, der Umstand, dafs
sie nicht ein Rechtssubjekt bilden, keineswegs die Einheit des That-
bestandes, und dies ist wiederum nicht eine Eigentümlichkeit des Tarif-
vertrags (S. 765)!. Damit aber die mehreren Arbeitnehmer zusammen
einen Tarifvertrag eingehen können, müssen sie sich koaliert haben.
Der Abschluß wie die Einhaltung eines Tarifvertrags dient dem
Koalitionszweck, der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedin-
gungen. Die Koalition kann sich ad hoc, behufs Tarifvertragschlielsung
bilden ?, oder sie hat schon vorher bestanden, die Arbeitnehmer ge-
hörten bereits einem Verbande an, der den Koalitionszweck unter
seinen. Verbandszwecken führt®. Der Umstand, dafs (innerhalb der
Grenzen von GewO. $ 152) den Koalierten Klage und Einrede wider-
einander versagt ist, hindert durchaus nicht die Begründung eines
vollkommenen Rechtsverhältnisses der Koalierten zu Dritten, hier zu
dem Mitkontrahenten des Tarifvertrags*. Und trotz ihrer rechtlichen
Schutzlosigkeit dient die Koalition, wie hundertfältige Erfahrung lehrt,
zur Befestigung des durch den Tarifvertrag begründeten Rechts-
verhältnisses zur Arbeitgeberpartei. Das tarifvertragswidrige Ver-
halten eines beteiligten Arbeitnehmers ist nicht blofs eine Verletzung
der rechtlichen Vertragspflicht, sondern auch der moralischen Koalitions-
nflicht.
IV. Der nach Inhalt und Form definierte Thatbestand des Tarif-
vertrags kann nunmehr von einer Reihe von Gebilden unterschieden
ı Wie die Mehrheit der Arbeitnehmer nicht eine Mehrheit von Arbeits-
ordnungen, so ergiebt sie auch nicht eine Mehrheit von Tarifverträgen.
2 z. B. die Arbeiter der nämlichen Fabrik oder mehrere am Orte be-
stehende, sonst selbständige Organisationen der gleichen Branche treten ge-
meinsam in eine „Lohnbewegung“ ein.
3 z. B. Tarifvertrag des Verbandes Hamburger Lager- und Speicher-
arbeiter einerseits, des Vereins Hamburger Quartiersleute von 1886 anderer-
seits (Hamb. Gewerbeinspektion für 1900 S. 71), der deutsche Buchdrucker-
tariıf, vereinbart zwischen dem deutschen Buchdruckerverband und dem
deutschen Buchdruckerverein (Verein von Prinzipalen).
4 Zustimmend Loewenfelda. a. 0., Koehne, Arbeitsordnungen S. 260
Anm, 23a. E.