Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

IV. Abgrenzung vom Vergleich, der Koalition, der Üsance. 771 
können, wie die Erfahrung lehrt, so liegen, daß die Partei, welcher 
von der anderen ein Tarifvertrag proponiert worden ist, es geraten 
findet, diesen Vorschlag ohne weiteres anzunehmen. Hier ist möglicher- 
weise weder ein gegenseitiges Nachgeben, noch überhaupt ein Nach- 
geben ersichtlich. Wo dem Abschluß eines Tarifvertrags ein Streit 
um die Tarifbedingungen vorausgeht, endigt dieser Hergang möglicher- 
weise mit gegenseitigem Nachgeben, dessen Resultat den Inhalt des 
Tarifvertrags bildet. Die nämliche Diskussion kann einem Arbeits- 
vertrag, einem verzinslichen Darlehen, einem Kauf, einer Miete u. s. w. 
vorausgehen und ebenso mit gegenseitigem Nachgeben endigen, dessen 
Ergebnis in dem betreffenden Vertrag, nämlich im Darlehen, Kauf u. s. w. 
fixiert ist. Niemals hat man darum in diesen Verträgen Vergleiche 
erblickt, und ebensowenig stellt der Tarifvertrag an sich einen solchen 
dar. Der Weg gegenseitigen Nachgebens wird beim Vergleich in 
dessen Thatbestand selbst beschritten und nicht vor demselben, ist 
nichts Internes, wie das Nachgeben in den anderen angeführten 
Fällen, sondern muß bethätigt werden durch Anerkennung, 
Verzicht, Versprechen, Zahlung u. dgl., mit einem Wort durch Vor- 
nahme oder Zusage einer materiellen Leistung. Im Tarifvertrag 
werden derlei Leistungen weder gemacht noch versprochen. Der 
Vergleich ist ferner ein Vertrag, durch den der Streit oder die Un- 
gewifsheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. 
Dagegen beim Tarifvertrag, durch den die Parteien ein Rechtsverhältnis 
begründen wollen, ist nicht die Beseitigung des Streites oder der 
Ungewifsheit über ein solches Gegenstand und Ziel der Vertrag- 
schliefsung — man müfßste denn jeden Vertrag für einen Vergleich 
erklären. Endlich kann ein Tarifvertrag im tiefsten Frieden und bei 
voller beiderseitiger Gewifsheit über das bisherige Rechtsverhältnis 
geschlossen werden. — 
Der Tarifvertrag ist keine Koalition. Zwar dient die Koalition 
seiner Eingehung und seiner Erhaltung, wie umgekehrt der Tarif- 
vertrag der Koalition dient, indem er ihren Zweck fördert und ihr 
neue Mitglieder zuführt. Aber der Tarifvertrag ist keine Koalition, 
weil er nicht eine Verabredung oder Vereinigung „zum Behufe der 
Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen“ (GewO. $ 152) 
ist, sondern selbst diese Bedingungen für beide Parteien des Arbeits- 
vertrags festsetzt. Dals der Tarifvertrag keine Koalition ist, ist 
für ihn von zwiefacher Bedeutung. Einmal wird er daher nicht von 
der Rücktrittsfreiheit, sowie der Klage- und Einredelosigkeit des $ 152 
GewO. betroffen. Nach ihrer Geschichte bezieht sich diese Vorschrift 
blofs auf Übereinkünfte einer Partei, der Arbeitgeber oder der 
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