Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

772 . VL Abschn. Tarifvertrag. 2. Kap.: Rechtswirkung. 
Arbeitnehmer, nicht auf solche, welche beide Parteien miteinander 
treffen. Ferner findet das spezielle Strafrecht, womit GewO. 8 153 
die fast völlige privatrechtliche Schutzlosigkeit der Koalition auch noch 
kriminalrechtlich garantiert, auf den Tarifvertrag, weil er nicht Koalition, 
keine Anwendung. Daher werden die üblichen, auch von den Partei- 
genossen selbst ausgehenden Bedrohungen und Verrufserklärungen 
tarifuntreuer Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, durch welche diese be- 
stimmt werden sollen, dem Tarifvertrag Folge zu leisten, von GewO. 
3 153 nicht betroffen. — 
Der Tarifvertrag hat eine entfernte Ähnlichkeit mit derjenigen 
Verkehrssitte, welche im Handelsverkehr unter dem Namen von 
UÜsance oder Handelsgebrauch vom Handelsgewohnheitsrecht unter- 
schieden wird und zur Erleichterung der Anwendung formuliert worden 
ist!. So ist der durch Tarifvertrag vereinbarte Ausschluß der Kün- 
digungsfrist von einem Gewerbegericht für „Geschäftsgehbrauch“ oder 
„Ortsgebrauch“ erklärt worden ?, 
Der Tarifvertrag ist stets ein Pakt entgegengesetzter Parteien. 
Von den Üsancen können danach nur diejenigen mit Tarifverträgen 
verglichen werden, welche wie diese von den entgegengesetzten Parteien 
der durch sie zu beherrschenden Verträge festgesetzt worden sind ®, 
Tarifvertrag und formulierte Üsance bilden beide nicht Recht im 
objektiven Sinne, bedürfen daher irgend welcher Unterwerfung der 
Kontrahenten, in deren Verträge der mit dem Tarifvertrag und der 
Üsance gegebene Inhalt eingehen soll. Beide funktionieren nur 
gegenüber dispositivem Recht, füllen den von diesem zur Verfügung 
gestellten Raum aus. Endlich werden ihre Inhalte auch ohne aus- 
Arückliche Verfügung der Kontrahenten Inhalt des gegebenen Vertrags. 
In allem Übrigen gehen sie auseinander. Denn die Üsance wird 
m einzelnen Fall zum Vertragsinhalt nur wenn den Umständen nach 
ein hierauf gerichteter Wille der Kontrahenten vorhanden ist, daher 
in jedem Fall gewifs sein muls, daß die Parteien den Handelsgebrauch 
1 Auf diese Üsance hat mich K. v. Amira hingewiesen. Ihre oben 
folgende Charakterisierung stützt sich auf Goldschmidt, Handelsrecht I?, 
333—37 und Laband, Zeitschr. f. Handelsrecht 17, 466—511. 
? Gewerbegericht VII, 109. 110. 
3 Nicht z. B. die von einer Handelskammer formulierten Börsenüsancen. 
Sogar die von Interessenten selbst, z. B. Käufern und Verkäufern, getroffene 
generelle Vereinbarung ist dem Tarifvertrag nicht parallel, wenn jene In- 
teressenten in den künftigen, von der Üsance zu ergänzenden Verträgen ab- 
wechselnd die eine und die andere Parteirolle einnehmen, z. B. Zeitschr. f. 
Handelsrecht 15. 175.
	        
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