I. Rechtswirkung verstölst nicht gegen allgemeine Grundsätze. 773
haben befolgen wollen‘. Hingegen wird der Tarifvertrag gerade
zu dem Zweck eingegangen, die Herrschaft des Individualwillens in
bestimmtem Mafse auszuschalten und dem Kollektivwillen die Ober-
hand zu verschaffen (Kap. 2), daher Zwang zur Einhaltung des
Tarifvertrags angewandt wird. Ferner ist die Üsance „Niederschlag
der üblichen vertraglichen Festsetzung“. Es sollen zwar auch ganz
neue Bestimmungen, die im Verkehr nicht üblich waren, als Üsancen
eingeführt werden können, aber doch nur dann zu Üsancen werden,
wenn sie „im wirklichen Geschäftsverkehr thatsächlich Anwendung“
finden. Für die Geltung des Tarifvertrags hingegen ist der faktische
Gebrauch nicht Voraussetzung: es werden vielmehr durch ihn neue
Lohnsätze, neue Arbeitszeiten, neue Zahlungszeiten u. s. w. eingeführt.
Er ist von Anfang an als Quelle von Vertragsinhalt ebenso wirksam,
als eine Arbeitsordnung, deren Geltungstag gekommen ist. Während
endlich Üsance nur für solchen Inhalt aufkommen kann, wie er von
den Parteien ihrem Vertrage ausdrücklich einverleibt werden könnte,
vermag der Tarifvertrag Bestimmungen zu enthalten, die den Rahmen
eines Arbeitsvertrags überschreiten %.
Zweites Kapitel,
Rechtswirkung.
I. Die Erörterung der Rechtswirkung des Tarifvertrags hat sich
sowohl auf das Ob als auf das Wie zu erstrecken. Indessen kann
die Frage, ob dem Tarifvertrag Rechtswirkung zukomme, nicht wohl
Zweifeln begegnen. Denn es findet diese Rechtswirksamkeit weder
ein moralisches noch ein rechtliches Hindernis, sie ist bei ähnlichen
Thatbeständen anzutreffen und entspricht dem Verhalten der Urheber
des Tarifvertrags — was alles im folgenden zu erweisen ist.
Der Tarifvertrag an sich verstölßst nicht wider die guten Sitten.
Da generelle Regelungen, wie sie der Tarifvertrag vornimmt, beispiels-
weise der Arbeitszeit oder der Lehrlingszahl, auch vom Staate aus-
gehen, dieser damit der rechtlichen Freiheit des Arbeitsvertrags
Schranken zieht, so kann eine private Aktion dieser Art nicht für
moralwidrig gelten. Wie die Moral keinen Einspruch gegen Rechts-
wirksamkeit des Tarifvertrags erhebt, wird ihm solche auch von keinem
Gesetze abgesprochen. Denn dafs GewO. $ 152 die Koalition von
ı Goldschmidt a. a. 0. S, 334. Laband a. a. 0. S. 497.
2? wie eine die Lehrlingszahl oder die Zahl der Schiffsmannschaft limi-
tierende; wegen des letzteren s. die S, 738? citierte Denkschrift des Seemanns-
verbandes S. 115 fe.