Full text: Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches (1)

IV. Durchgreifende Rechtswirkung der obligator. AO. als Analogon. 785 
Dals die Arbeitsordnung nicht durch einen Arbeitsvertrag durch- 
brochen und damit teilweise geändert werden kann, ist der Ausfluß 
eines Prinzips, dem wie die Arbeitsordnung auch der Tarifvertrag 
unterfällt. Kraft zwingender Analogie beherrscht er die Arbeitsverträge 
im nämlichen Grade wie die Arbeitsordnung und kann so wenig wie 
diese durch die Arbeitsverträge beherrscht werden. Das höhere Prinzip 
ist, dafs eine generelle Norm, die im Interesse der schwächeren 
Kontrahenten ihren Kontrakten den gleichen und im voraus bekannten 
Inhalt liefern soll, diesen Zweck verfehlt, wenn sie im gegebenen 
Fall durch den Kontrakt entkräftet werden kann. Hat das Gesetz 
der Arbeitsordnung eine Aufgabe gestellt, zu deren Erfüllung sie der 
durchgreifenden Rechtswirkung bedarf, so ist dem Tarifvertrag wegen 
der Ähnlichkeit seiner Aufgabe die nämliche Wirkung nicht zu versagen. 
Ja diese Analogie wird noch durch den Unterschied von Ein- und 
Zweiseitigkeit verstärkt, welcher zwischen beiden Thatbeständen ob- 
waltet. Kann der Urheber einer einseitigen generellen Regelung sich 
nicht durch Spezialabrede über sie hinwegsetzen, so findet diese 
Möglichkeit erst recht keinen Raum, wo die generelle Regelung nicht 
einseitig erlassen. sondern mit mehreren Dritten vereinbart worden ist. 
ebenfalls unter Berufung auf $ 134% anerkannt von Joel, Arbeiterschutz- 
yesetzgebung S. 172 (citiert bei Koehne), sowie allgemein oder doch für 
$ 134% Nr. 2 vom Berliner Gewerbegericht bei Unger, Entscheidungen Nr. 154; 
ferner können nach Koehne, Arbeitsordnungen 8. 206. 207 wie nach einigen 
Kommentaren die in die Arbeitsordnung aufgenommenen Kündigungsgründe 
nicht durch einzelne Arbeitsverträge ausgeschlossen werden, obwohl doch die 
Ungültigkeit dieser Abweichung im Gesetz nicht speziell ausgesprochen ist. 
Hingegen wird bald allgemein bald für einzelne Bestimmungen die Derogier- 
barkeit der Arbeitsordnung durch Arbeitsvertrag behauptet von Unger, Entsch. 
Nr. 152, Gewerbegericht IV, 24. V, 25. VI, 97, Burchardt, Rechtsverhältnisse 
der gewerblichen Arbeiter S. 76, Nelken, Handwerker- und Arbeiterschutz- 
gesetze S. 795 (nur mit Berufung auf einen Erlafs des preufsischen Handels- 
ministers) und Koehnea. a. O0. 5. 188. 202. 262 fg., mit Hinweis auf zu- 
stimmende Kommentare. Koehne gestattet abweichende Vereinbarung zwar 
nicht mit allen, aber „mit einzelnen oder mit einigen Arbeitern“, womit eine 
schiefe Ebene betreten wird. Er beruft sich ferner auf das schweizerische 
Fabrikgesetz, „welches dem deutschen Arbeiterschutzgesetz zum Vorbilde 
diente“, Solche Vorbildlichkeit könnte eine so strenge Argumentation wie 
die e contrario (gegenüber GewO. $ 134° Abs. 2) nicht rechtfertigen. Da 
überdies das schweiz. Gesetz die „besondere Verständigung“ gegenüber der 
Fabrikordnung für einen Fall eigens gestattet, so wird es dieses Verfahren 
nicht allgemein für zulässig halten, somit eher für unsere Auffassung an- 
zuführen sein. Endlich das praktische Bedürfnis differentieller Behandlung 
kann, wie schon im Text bemerkt, durch die Arbeitsordnung selbst befriedigt 
werden. 
Lotmar., Arbeitsvertrag. I.
	        
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