IV. Zurückstehen des TV. gegenüber einer Arbeitsordnung. 787
eine gemeinsame Regelung mit der Gegenpartei eingelassen hat, so bricht
er sein Wort auch den eigenen Genossen, wenn er für seine Person
die gemeinschaftlich geschaffene Ordnung durch Separatvertrag über-
tritt. Der tarifvertragswidrige Arbeitsvertrag verletzt nicht blofs die
Solidarität, er öffnet auch der Unterbietung, der Schleuderkonkurrenz,
wie der Überwältigung des Isolierten das Thor, welches der Tarif-
vertrag verschlossen hatte und zu verschließen bestimmt war.
Nach der hier vertretenen Ansicht ist dies rechtlich nicht möglich,
und nicht erst mit den Mitteln der Selbsthülfe (S. 777. 778), sondern
mit der Hülfe des Gerichts kann auf dem Vollzug der tarifvertrags-
mäfsigen Arbeitsverträge bestanden werden !. —
Anders mufßs man verfahren, wenn zwischen dem Arbeitsvertrag
und dem Tarifvertrag noch eine Arbeitsordnung steht. Deren Inhalt
ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für Arbeitgeber und
Arbeitnehmer rechtsverbindlich (GewO. 8 134° Abs. 2). Das ist er
sonach selbst dann, wenn er einem Tarifvertrag zuwiderläuft, und
hieran kann auch eine Bestimmung des Tarifvertrags nichts ändern?.
Der Arbeitgeber, welcher eine Bestimmung seiner Arbeitsordnung so
gestaltet, dafs sie einem für ihn verbindlichen Tarifvertrag widerspricht,
könnte freilich von denjenigen Arbeitnehmern, zu denen er im Tarif-
vertragsverhältnis steht, zur Entfernung oder tarifmäfßlsigen Um-
gestaltung jener Bestimmung auf dem Rechtswege angehalten werden?.
Aber dafs dieselbe, weil dem Tarifvertrag zuwiderlaufend, ungültig
sei, brauchte er mit Hinweis auf $ 134° cit. nicht zuzugeben. Man
hat eingewandt“*, dafs der Arbeitgeber mit der tarifvertragswidrigen
Bestimmung eine wider die guten Sitten verstofsende Arbeitsordnung
und insoweit eine ungültige erlasse. Diese Moralansicht wird gewils
von Vielen geteilt werden; sie könnte auch gegen die Gültigkeit eines
vom Tarifvertrag abweichenden Arbeitsvertrags ins Feld geführt werden.
Indessen ist unsicher, ob sie als herrschende anzuerkennen sei und
1 Es ist daher auch aus diesem Grunde unzutreffend, wenn die Motive
zu GewGerG., 8 70 sagen, es könne „durch äufsere Mittel nicht erzwungen
werden“, dals ein durch das Einigungsamt vermittelter Tarifvertrag „von
allen Beteiligten für die Bedingungen des weiteren Arbeitsverhältnisses als
mafsgebend anerkannt wird.“
? Der Buchdruckertarif vom 1. Januar 1902 sagt in 8 41: „Bestimmungen
in Arbeitsordnungen, welche dem Tarife widersprechen, sind für Buchdrucker-
gehülfen unwirksam.“
® Eine Tarifvertragsproposition der Zwickauer Bergleute (1900) lautet:
„Festlegung der gewährten Bedingungen in einer Arbeitsordnung.“ Arbeiter-
freund, 37. Jahrg., S. 34. 36.
4 Koehne, Arbeitsordnungen S. 260. 261.