§ 3. Von der Herrschaft des Willens über die übrigen menschlichen Fähigkeiten. 69
5. Nach getroffener Wahl schreitet der Wille zur Ausführung oder
zum Gebrauche der gewählten Mittel. Der Gebrauch ist noch ein
Willensakt, aber ein solcher, der die Ausführung betrifft und die dem
Willen unterstehenden Fähigkeiten zum Handeln antreibt. Obwohl der
Wille einen eigenen, die Ausführung betreffenden Akt fetzen kann, so
ist es doch nicht notwendig.
6. Sobald der Wille das erstrebte Gut erreicht hat und besitzt, ist seine
Bewegung am Ziele angelangt; er ruht in dem Besitze des Gutes.
Die Befriedigung des Willens im erlangten Gut ist die Freude (gau-
dium). Diese Ruhe ist aber nicht aufzufassen als Abwesenheit jeder
Tätigkeit, sondern als lebensinnige Umfassung des besessenen Gutes.
Z 3. Von der Herrschaft des Willens über die übrigen
menschlichen Fähigkeiten.
Dem Willen gehören nicht nur die von ihm selbst gesetzten Akte an,
sondern auch die Betätigungen der übrigen Fähigkeiten, soweit sie auf
seinen Befehl und unter seiner Leitung vor sich gehen.
1. Worin aber besteht dieser Befehl des Willens?
Befehlen oder gebieten im allgemeinen heißt jemand seine entschie
dene Willensforderung kundtun. Wir können andern befehlen, indem wir
ihnen unsern Willen kundtun, um sie zu verpflichten. Wir können aber
auch uns selbst befehlen. Von diesem Befehl allein sprechen wir hier.
Ein solcher Befehl ist nicht notwendig, aber wir können uns selbst so be
fehlen, um uns zum Handeln anzutreiben. Das lehrt die tägliche Er
fahrung. Wir können uns selbst zu etwas auffordern: Tue dies, lasse
jenes, oder wie der Prophet: Lobpreise meine ©eele, den Herrn; harre
auf Gott!
Dieser Befehl besteht wesentlich in einem Akte des Verstandes. Wir
reden zu uns selbst und tun uns den entschiedenen Willensentschluß kund.
Aber dieser Akt hat seine ganze Kraft von dem Willensentschlnß, den er
voraussetzt und verkündet^.
2. Welche Fähigkeiten unterstehen dem Befehle des Willens?
Auf die rein vegetativen Kräfte besitzt der Wille nur indirekt
Einfluß, sonst aber unterstehen alle menschlichen Fähigkeiten direkt der
Herrschaft des Willens. Doch ist diese Herrschaft nicht für alle Fähig
keiten gleich.
a) Über die Bewegungen des Leibes und der äußeren
S i n n e hat die Seele despotische Gewalt, um uns des aristotelischen
1 8. Thom., 8. th. 1, 2, q. 17, a. 1: „Imperare est actus rationis, prae-
supposito tarnen actu voluntatis.“