Full text: Kritik des Gothaer Programms

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entfernen und es durch das Wort „Gemeinwesen" zu ersetzen; Engels 
erklärt sogar, die Kommune sei kein Staat im eigentlichen Sinne mehr 
gewesen. Marx dagegen spricht sogar vom „zukünftigen Staatswesen 
der kommunistischen Gesellschaft", d. h. er erkennt scheinbar die 
Notwendigkeit des Staates selbst unter dem Kommunismus an. 
Eine derartige Auffassung wäre jedoch grundfalsch. Eine nähere 
Betrachtung ergibt, daß die Ansichten von Marx und die von Engels 
über den Staat und dessen Absterben sich durchaus decken, der er 
wähnte Ausdruck von Marx bezieht sich aber gerade auf dieses 
'ibsterbende Staatswesen. 
Es ist klar, daß von einer Bestimmung des Zeitpunktes des künf 
tigen „Absterbens" nicht einmal die Rede sein kann, um so mehr, als 
es sich bekanntlich um einen langwierigen Prozeß handelt. Der 
scheinbare Unterschied zwischen Marx und Engels erklärt sich aus 
der Verschiedenheit der Gegenstände, die sie behandelten, der Auf 
gaben, die sie verfolgten. Engels machte sich zur Aufgabe, Bebel 
anschaulich, scharf, in großen Zügen die ganze Unsinnigkeit der land 
läufigen (und in nicht geringem Maße von Lassalle geteilten) Vor 
urteile in bezug auf den Staat nachzuweisen. Marx streift diese 
Frage nur nebenbei; ihn interessiert ein anderes Thema; die Ent 
wicklung der kommunistischen Gesellschaft. 
Die ganze Theorie von Marx ist eine Anwendung der Entwick 
lungstheorie — in ihrer konsequentesten, vollkommensten, durch 
dachtesten und inhaltsreichsten Form — auf den modernen Kapita 
lismus. Es ist nur natürlich, daß sich dabei für Marx die Frage nach 
der Anwendung dieser Theorie auch auf den bevorstehenden Zu 
sammenbruch des Kapitalismus und die künftige Entwicklung des 
künftigen Kommunismus erhob. 
Auf Grund welcher Unterlagen kann aber die Frage nach der 
künftigen Entwicklung des künftigen Kommunismus aufgeworfen 
werden? 
Auf Grund der Tatsache, daß er aus dem Kapitalismus hervorgeht, 
sich historisch aus dem Kapitalismus entwickelt, das Resultat der 
Wirkungen einer gesellschaftlichen Kraft ist, die der Kapitalismus 
erzeugt hat. Bei Marx findet sich auch nicht die Spur eines Versuches, 
Utopien zu konstruieren, ins Blaue hinein Mutmaßungen anzustellen 
über das, was man nicht wissen kann. Marx stellt die Frage des 
Kommunismus so, wie der Naturforscher die Frage der Entwicklung 
einer neuen, sagen wir, biologischen Abart stellen würde, v/enn ihm
	        
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