Full text: Kritik des Gothaer Programms

AUS DEM BRIEF AN FRIEDRICH ALBERT SORGE 
Lieber Sorge, London, 11. Februar 1891. 
Brief 16. Januar erhalten. . . 
Den Marxschen Artikel 1 in der „Neuen Zeit" hast Du gelesen. Er 
hat bei den sozialistischen Machthabern in Deutschland anfangs großen 
Zorn verursacht, der sich aber schon etwas zu legen scheint. Dagegen 
in der Partei selbst — mit Ausnahme der alten Lassalleaner — sehr 
viel Freude. Der Berliner Korrespondent der Wiener „Arbeiter-Zei 
tung", die Du mit nächster Post erhältst, dankt mir förmlich für den 
Dienst, den ich der Partei erwiesen (ich denke es ist Adolf Braun, 
Viktor Adlers Schwager und Liebknechts Unterredakteur beim „Vor 
wärts" 2 ). Liebknecht natürlich ist wütend, da die ganze Kritik speziell 
auf ihn gemünzt war und er der Vater, der mit dem Arschficker Hassel 
mann zusammen das faule Programm erzeugt hat. Ich begreife das 
anfängliche Entsetzen der Leute, die bisher darauf bestanden, von 
den „Genossen" nur äußerst zart angefaßt zu werden, als sie jetzt so 
sans fagon behandelt und ihr Programm als reiner Blödsinn enthüllt 
wurde. Wie K. Kautsky, der sich in der ganzen Sache sehr couragiert 
benommen, mir schreibt, besteht die Absicht, einen Fraktionserlaß 
loszulassen, besagend, daß die Veröffentlichung ohne ihr Wissen er 
folgt sei und von ihnen gemißbilligt werde. Das Vergnügen können 
sie sich gern machen. Indes kommt vielleicht auch das nicht zustande, 
wenn die Zustimmungen aus der Partei sich mehren und sie finden, 
daß das Geschrei von der „den Feinden damit in die Hand gegebnen 
Waffe gegen uns selbst" nicht weit her ist. 
Inzwischen werde ich von den Herren geboykottet, was mir 
ganz recht ist, da es mir manche Zeitverschwendung erspart. Gar zu 
lange wird’s ohnehin nicht dauern ... Dein F. E. 
Erstmalig veröffentlicht (mit Auslassungen) 
in „Briefe und Auszüge aus Briefen von Joh. 
Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, 
Karl Marx u. a. an E. A. Sorge und andere“, 
Stuttgart 1908. Hier ergänzt nach der photo 
graphischen Kopie des Originals. 
1 Die „Kritik des Gothaer Programms“. Die Red. 
3 In dem sogenannten Sorge-Briefwechsel (Stuttgart 1900 und folgende Aus 
gaben) lautet diese Stelle: „ ich denke, es ist August Bebel.“ Diese den 
Engelsschen Text entstellende Umarbeitung verfolgte offenbar den Zweck, Bebel 
einen Dienst zu erweisen und ihm eine positive Stellung zu der von Engels ver 
öffentlichten „Kritik des Gothaer Programms“ zuzuselireiben, während er in 
Ytirkliclikeit gegen die Veröffentlichung gewesen war. Die Red.
	        
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