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DIE GEISTIGE WENDUNG DER
MODERNEN LITERATUR
Der Gruppengeist, der aus der mechanisierten Wirklichkeit von
Maschine und Organisation heute aufzusteigen beginnt, ist von einer
seltsamen inneren Kühle. Gemeinschaft und Freundschaft in dem
enthusiastischen Sinn der romantischen Dichtung in der wilden
Ausschließlichkeit der Jugendbewegung vor dem Krieg ist sehr un
modern geworden. Die heute geübte Verhaltenheit und herbe
Selbstverständlichkeit in Liebe und Gemeinschaft ist bedingt
durch die Erschütterungen der Kriegszelt und der allgemeinen
Arbeitsversklavung Deutschlands nach dem Krieg. Der Geist der
Kameradschaft und das Solidaritätsgefühl des Arbeitskollegen hat
hier jede Überschwenglichkeit abgebaut und ist stilbildend gewor
den für die Formen unseres Gemeinschaftsgefühls, soweit es sich
überhaupt zeigt. Wo menschliche Verbundenheit ist, wird sie nicht
sehr nach außen herausgestellt. Eine nüchtern-sachliche Bemerkung,
eine grotesk, auch wohl bewußt sentimentale Übertreibung der Ge
fühle, das ist die Form, in der heute der eine dem anderen zeigt,
daß er sich mit ihm verbunden fühlt. Man hat wenig Zeit. Man
weiß, wieviel man voneinander zu erwarten hat. Man weiß auch,
wie wenig das ist. Man ist Illusionslos und verhält sich lieber ab
wartend und erwartungsvoll.
Diese Beschränkung und Kargheit in der Bezeugung der ge
meinschaftlichen Verbundenheit ist seit der Inflationszeit ganz all
gemein anerkannt und auch durch die jüngste Dichtergeneration be
reits gestaltet worden. Zurückführung des Gemeinschaftslebens auf
seine primitiven Wurzeln läßt einen neuen Bildungswillen erwarten,
der den einzelnen innerhalb der Gruppe zu verselbständigen ver
sucht. Der Individualismus, dem wir zustreben, wird freilich fern