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Pflichten
Um die hitzigen Erörterungen über das Eigentum und die mit ihm ver
bundenen Pflichten in die gehörigen Schranken zu weisen, sei an die
Spitze gesetzt, was schon Leo XIII. als Grundstein aufgestellt hat:
Eigentumsrecht und Eigentumsgebrauch sind wohl
zuunterscheidende Dinge. Die Achtung der Grenzen von Mein
und Dein, die Ausschließlichkeit jeden Rechtes, die dem Einbruch aus
den Grenzen des eigenen Rechtsbereichs heraus in den Rechtsbereich
des anderen wehrt, gehört der Verkehrsgerechtigkeit an: 'der sittlich
geordnete Gebrauch des Eigentums durch den Eigentümer dagegen ge
hört nicht dieser Tugend an, sondern ist Gegenstand anderer Tugenden
und kann daher ,,im Klagewege nicht erstritten werden”. Zu Unrecht
vertreten daher einige den Satz, die Grenzen des Eigentums und seines
sittlich geordneten Gebrauches seien ein und dasselbe; noch viel
weniger bewirkt Mißbrauch oder Nichtgebrauch des Eigentums die Ver
wirkung oder den Verlust des Rechts. Ein nützliches und verdienstvolles
Werk tun daher jene, die unbeschadet der Liebe und Eintracht sowie
der Reinheit denron der Kirche allzeit festgehaltenen Lehrüberlieferung
sich bemühen, um die genauere Erforschung der inneren Wesensart
dieser Pflichten sowie der Grenzen, die durch die Erfordernisse des
menschlichen Gemeinschaftslebens sowohl dem Eigentumsrecht selbst
als dem Gebrauch und der Nutzung der Eigentumssache gezogen wer
den. In Täuschung und Irrtum aber ist befangen, wer imiper die indivi
duelle Seite des Eigentums so weit auszuhöhlen trachtet, daß tatsäch
lich nichts mehr von ihr übrigbleibt.
Befugnisse des Staates
Daß beim Eigentumsgebrauch nicht nur an den eigenen Vorteil
zu denken, sondern auch auf das Gemeinwohl Bedacht zu nehmen
ist, folgt ohne weiteres aus der bereits betonten Doppelseitigkeit des
Eigentums mit seiner Individual- und Sozialfunktion. Sache der Staats
gewalt ist es, die hier einschlagenden Pflichten, wo das Bedürfnis be
steht, und sie nicht bereits durch das Naturgesetz hinreichend bestimmt
sind, ins einzelne gehend zu umschreiben. Der Staat kann also —
immer im Rahmen des natürlichen und göttlichen Gesetzes —• mit Rück
sicht auf wirkliche Erfordernisse des allgemeinen Wohls genauer im
einzelnen anordnen, was die Eigentümer hinsichtlich des Eigentums
gebrauches dürfen, was ihnen verwehrt ist. Ja, wie Leo XIII. treffend
bemerkt, hat Gott der menschlichen Geschicklichkeit
und den staatlichen Einrichtungen die Umschrei
bung des Sondereigentums anheimgegeben. In der Tat
erweist die Geschichte — das sind Unsere eigenen Worte —, daß wie
die übrigen grundlegenden Bestandstücke des gesellschaftlichen Lebens,
so auch das Eigentum nicht unwandelbar ist: „Wie verschiedene ver
gegenständlichte Formen hat doch das Eigentum angenommen, ange
fangen von seiner urzeitiichen Gestalt bei den wilden Völkern, deren