Pubertät.
Neben allerlei nervösen Beschwerden, Mattigkeit und Zerstreutheit
machen sich trübe Stimmungen mit weltschmerzlichen Grübeleien gel-
tend, Reizbarkeit und Neigung zu Wutausbrüchen, stereotype Angewohn-
heiten wie Grimassieren, Nägelkauen, Spucken, Zupfen usw. Ausser-
ordentlich verbreitet ist Masturbation (Onanie).
Eigentümlich und praktisch wichtig ist die moralische Ent-
artung, welche sich gelegentlich bei Psychopathen im Pubertätsalter
überraschend äussert. Es ist wie ein Versagen der intellektuellen
Widerstandskraft gegenüber der durch die Schulentlassung erlangten
Ungebundenheit. Die Betreffenden handeln völlig unüberlegt, triebartig
und begehen unter Umständen die erschreckendsten Gewalttaten. Charak-
teristisch ist dabei das Ausbleiben aller hemmenden Vorstellungen, ob-
gleich sie sonst vorhanden und richtig affektbetont sein mögen.
Nicht nur Heimweh führt bei solchen unreifen, halb kindlichen
Wesen, die sich plötzlich in das rauhe Erwerbsleben hinausgestossen
und auf sich allein gestellt sehen, zu gewaltsamen Delikten wie Brand-
stiftung und Mord der ihnen als Kindermädchen anvyertrauten Kinder.
Manchmal entlädt sich sogar bei Jugendlichen, die zu Hause wohnen
bleiben und nur den ganzen Tag in der Fabrik arbeiten sollen, die ın-
nere Unzufriedenheit mit den äusseren Verhältnissen in ähnlich
gewaltsamer Weise. Meist handelt es sich um von Haus aus wenig
begabte oder geradezu schwachsinnige Individuen. Die Tat kann von
Janger Hand vorbereitet und in ihren Einzelheiten überlegt sein. Den-
noch erfolgt die schliessliche Ausführung triebartig und mit elemen-
tarer Wucht.
* Als Beispiel sei ein 15jähriger Arbeitsbursche angeführt, der sich ein grosses
Messer kaufte und ein ihm völlıg unbekanntes Kind auf der Strasse an sich lockte, um
ohne voraufgegangenen Wortwechsel neunmal auf dasselbe einzustechen. Bei allen Ver-
nehmungen gab er lediglich als Grund an, er habe das Kind töten wollen aus Ärger
darüber, dass andere fröhlich spielten, während er selbst immer in der Fabrik
arbeiten sollte... „Ich war immer so allein und die anderen so fröhlich; ich habe es
aus Neid getan! Ich musste es tun“! Man war erst versucht, an einen Fall von
Hebephrenie zu denken. Allein die fortgesetzte Beobachtung ergab keinerlei An-
haltspunkte dafür, Es liess sich nur zeigen, dass die Vorgeschichte des leicht be-
schränkten Menschen eine Reihe psychopathischer Züge enthielt. Zu Hause hatte
es an Aufsicht gefehlt, das Lesen zahlreicher Kriminalromane mag weiter von un-
heilvollem Einflusse gewesen sein. Im Gefängnis führte er sich musterhaft.
Gerade der in der Pubertät auftauchende kriminelle Hang von
Psychopathen berechtigt noch lange nicht zur Annahme von Unverbes-
serlichkeit. Die willensschwachen und übermässig beeinflussbaren In-
dividuen, die in diesem gefährdeten Lebensabschnitte zuerst entgleisen,
lassen sich bei rechtzeitiger Entfernung aus ungeeigneter Umwelt und
durch erziehliche Massnahmen oft dauernd umstimmen. Auch ist mit
der Möglichkeit einer verspäteten Ausreifung des Charakters zu rechnen.
Lit. Nr. 142: 178, 336.
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