Depressiv-ängstlicher Symptomenkomplex.
Lebensüberdruss braucht durchaus nicht geäussert zu werden, obgleich
er vorhanden ist.
Auf die Neigung Depressiver zu unbegründeten Selbstanzeigen
infolge von Versündigungswahn ist bereits auf Seite 28 eingegangen
worden. Lässt sich die Grundlosigkeit solcher Selbstbeschuldigung dar-
tun, liegt die Sache für den Gutachter einfach. In Fällen, wo tatsäch-
liche frühere Verfehlungen in der Depression angezeigt werden, kommt
lediglich Prüfung der Verhandlungs- und Strafvollzugsfähigkeit in
Betracht.
Die Frage einer Entmündigung wird sich nach der den depressiven
Zustandsbildern zugrunde liegenden klinischen Krankheitsform zu richten
haben. Bestehen Anhaltspunkte für einen fortschreitenden, zu geistiger
Schwäche führenden Prozess und stehen irgend erhebliche geschäftliche
Interessen auf dem Spiele, so sollte mit der Einleitung der Entmündigung
nicht gezögert werden. Liegt nur ein Anfall von manisch-depressivem
Irresein vor, so dürfte bis zu dessen in absehbarer Zeit zu erwartendem
Ablaufe die Einsetzung der Pflegschaft genügen. Siehe Seite 49,
Die geistige Gemeinschaft der Ehegatten wird durch eine depressive
Erkrankung zunächst nicht in Frage gestellt.
Lit. Nr. 84, 126, 183, 184, 230,292; 295, 298.
Beispiel 11.
(Gattenmord in depressiver Verstimmung mit paranoiden Zügen. Vor-
liegen von 8 51 St.G.B.)
54jähriger Beamter Eduard T. erschlägt nachts seine schlafende Frau mit
einem Hammer, nachdem er ihren Hund entfernt hat; sein eigener Selbstmordver-
such durch Erhängen misslingt. Bei seiner Verhaftung erklärt er, er habe die Tat
ausführen müssen, er habe aus Liebe gehandelt, es habe ihn die Furcht beherrscht,
sie würden ins Elend geraten. „Es war zwischen uns abgemacht, Bertha sollte
eher sterben!“
Seit vielen Jahren schon war T. nervös, zeitweise stark deprimiert, hatte sich
in verschiedenen Sanatorien behandeln lassen. Vor 9 Jahren stellten sich quälender
Kopfschmerz, Schwindel, Schlaflosigkeit, Verfolgungsideen, heftige Angstzustände
ein, die ihn zu wiederholten Selbstmordversuchen trieben; er sprang ins Wasser,
suchte sich zu erhängen. Nach seiner Entlassung stellten sich gelegentliche Auf-
regungszustände ein. Er zeigte ausgesprochene Grossmannssucht, prahlte mit seinem
Gelde, gab Gesellschaften, hielt Bekannte im. Wirtshause frei, kaufte sich ein Reit-
pferd, legte sich halb scherzweise den Grafentitel zu, sang und lachte viel, lebte
weit über seine Verhältnisse. Einmal gab er ein ziemlich wertloses Buch im Selbst-
verlag heraus, das ihm erhebliche Kosten verursachte. In der letzten Zeit entwickelte
sich bei ihm wieder eine ängstliche Depression mit der Befürchtung, es gehe etwas
gegen ihn vor. Er war niedergeschlagen, fühlte sich arbeitsunfähig, hörte nachts
unheimliche Geräusche, Lärmen und Pfeifen, glaubte von unbekannten Leuten Vor-
würfe und Drohungen zu vernehmen: „Kurz es war alles systematisch darauf ange.
legt, mich und meine Frau zu vernichten!“ Er fürchtete, die Behörde werde ihn
entlassen wegen Verleumdungen, wolle ihm sein Gehalt entziehen, und dann müssten
er und die Frau verhungern. Er machte am 830. 9. einen Erhängungsversuch, aber
der Strick riss. Weiter äusserte er Selbstvorwürfe, er habe einmal das Dienst-
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