Delırien und Verwirrtheit. 153
Ein verwirrter Epileptiker ‚machte verzweifelte Angriffe auf seine Umgebung,
schnitt sich dann selbst in den; Hals und die Gegend der linken Pulsader. Später
erzählte er, er habe geglaubt, man wolle ihn hinrichten. Zweimal habe die Toten-
glocke geläutet, dann habe sich ein Lärm von Trommeln und Pfeifen erhoben, sich
mit Posaunen, Donnerschlägen und dem Geschrei einer tausendstimmigen Menge zu
schauerlichstem Getöse gesteigert. Vor sich sah er einen Block, ein Ofen wurde
geheizt, alles drängte auf ihn ein, Entrinnen schien unmöglich. Da habe er im Ent-
setzen sich die Verletzungen beigebracht und sogleich ein Gefühl der Erleichterung
verspürt, als nahe nun das Weltgericht.
Ein anderer Epileptiker sah den Teufel vor sich, mit dem er ringen musste,
und hörte Christi Stimme, bildete sich ein, der Nachfolger des Heilands zu sein
und gleich Abraham Opfer bringen zu müssen. Er hielt die Personen seiner Um-
gebung für Teufel, schlug seine alte Mutter nieder, verschloss das Hans und er-
würgte 2 Kinder. Als man ihn verhaftete, predigte er „wie ein Pfarrer“. Später
ward er stuporös, liess unter sich gehen. Als er nach einem Monat wieder klar
wurde, hatte er die Erinnerung an sämtliche deliriösen Erlebnisse vollständig verloren.
Hier seı noch kurz ein anderes wichtiges Kapitel der forensischen
Psychiatrie berührt: Auch ein Kindsmord gleich nach der Entbindung
kann im Anfalle deliriöser Verwirrtheit verübt sein. Der von vielen
solcher Straftat beschuldigten Personen gebrauchte Einwand, sie wüssten
nichts von dem Vorgange, seien zu aufgeregt gewesen und erst hernach
wieder zu sich gekommen, ist oft so handgreiflich erlogen, dass man
sich nicht wundern darf, wenn er bei Richtern wenig Beachtung findet.
Dennoch ist die Möglichkeit eines derartigen Verhaltens nicht zu be-
zweifeln.
Bei Eklampsie und puerperaler Infektion entwickeln sich nicht so
selten deliriöse Verwirrtheitszustände mit hoher Neigung zu
gewalttätigen Handlungen. Dann wird freilich das Bestehen einer
Psychose kaum unbemerkt bleiben. Ausserdem können aber durch die
mit dem Geburtsvorgange verbundenen Erregungen bei psychopathisch
Veranlagten flüchtigere seelische Ausnahmezustände ausgelöst werden.
In erster Linie ist hier an Epilepsie und schwere Hysterie zu denken.
Indessen beobachten wir auch ohne eine solche deutlich krank-
hafte Grundlage und in nicht strafrechtlichen Fällen, dass sich bei
Gebärenden infolge der starken gemütlichen Erregung (Schmerz, Angst
und Scham) zeitweilig die Sinne verwirren, die Umgebung ungenau auf-
gefasst wird, falsche Antworten erfolgen, einzelne Halluzinationen auf-
treten, die Erinnerung später sich getrübt erweist. Bisweilen entwickeln
sich lebhafte Bewegungsunruhe und zornmütiges Gebahren. Es wird in
der Literatur über einen Fall berichtet, wo die Gebärende im verwirrten
Erregungszustande die‘Hebamme beiseite stiess, das halbgeborene Kind
herausriss und am Bettpfosten zerschmetterte. Häufiger noch sind ruhig
ablaufende Dämmerzustände. (Vgl. Seite 88.)
Gewiss bilden derartige Beobachtungen grosse Ausnahmen. Gleich-
wohl mahnen sie den Sachverständigen zur höchsten Vorsicht bei