Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Dämmerzustände, - 
und ist um so wünschenswerter, weil gerade dem Gebiete der Dämmer- 
zustände forensisch eine sehr viel grössere Bedeutung zukommt, als den 
Delirien. 
Wie der Name besagt, soll „Dämmerzustand“ eigentlich die leichtere 
Form von Bewusstseinstrübung bezeichnen, einen Zustand, in welchem 
zwar keine Bewusstseinshelligkeit mehr besteht, aber auch keine völlige 
Verdunklung eingetreten ist. In Wahrheit pflegt indessen die Be wusst- 
seinstrübung meist eine recht schwere zu sein. Der Schein 
geringerer Störung wird nur dadurch erweckt, dass es zum Wesen des 
Dämmerzustandes gehört, dass das äussere Gebaren geordneter und 
unauffälliger sich darstellt, als beim Deliranten oder halluzinatorisch 
Verwirrten, und dass eine ganze Reihe von komplizierten Handlungen 
in gewohnter Weise und sozusagen automatisch abläuft, obgleich die 
reale Situation nicht mehr entsprechend aufgefasst und verarbeitet werden 
kann. Diese Unauffälligkeit, welche den Laien oft genug zum 
Glauben verleitet, er hätte es mit einem Geistesgesunden zu tun, ist 
der Hauptgrund, warum die in Dämmerzuständen verübten Straftaten 
trotz ihrer verhältnismässigen Seltenheit eine so hervorragende forensische 
Stellung einnehmen. 
Infolge der grossen einschlägischen Literatur ist leider vielfach eine 
übertriebene Einschätzung der Häufigkeit derartiger Vorkommnisse in 
Ärztekreisen eingerissen, indem vor Gericht gelegentlich Dämmerzustände 
angenommen werden, wo es sich fraglos nicht um Bewusstseinstrübungen 
gehandelt haben kann, Fälle, die das Misstrauen mancher Richter gegen 
diese Diagnose leider z.'T. rechtfertigen. Andererseits hat das Publikum 
durch Romane, Theaterstücke und Gerichtsverhandlungsberichte Kenntnis 
von der Existenz der Dämmerzustände erhalten mit dem KErgebnisse, 
dass heute gar nicht selten Angeklagte den Versuch machen, alle ihre 
Verfellun ‚en durch die Behauptung eines solchen Zustandes mit nach- 
folgendem Erinnerungsverlust zu decken. Nimmt man hinzu, dass es 
sich in der Regel um rasch ablaufende Anfälle handelt, die nur zur Zeit 
der Tat bestanden hatten, nicht dagegen vom Sachverständigen selbst be- 
obachtet wurden, .so wird es erklärlich, warum auf keinem anderen Ge- 
biete der gerichtlichen Psychiatrie die Beurteilung so zahlreichen Fehler- 
quellen ausgesetzt ist, als gerade hier, Wir haben 3 Haupttypen zu 
merken: 
1. Epileptische Dämmerzustände, 
Die praktisch wichtigste Gruppe der Dämmerzustände bilden die 
epileptischen. Wie die Epilepsie auf motorischem Gebiete zu anfalls- 
weisen Krampferscheinungen führt, gibt sie auf seelischem Gebiete zu 
Anfällen von flüchtiger Bewusstseinsstörung Veranlassung, Am klarsten 
liegt der Zusammenhang bei den sogenannten „kleinen Anfällen“ 
der Epileptiker: Der Kranke verstummt plötzlich in der Unterhaltung, 
blickt starr, wird blass, lässt fallen, was er gerade in der Hand hält, 
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