Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Infektionspsychosen. 
Infektionspsychosen. 
Sowohl nach erfolgter Ansteckung, ehe noch eine akute Infektions- 
krankheit sichtbar ausgebrochen ist (Inkubationsstadium), als auch in 
ihrem Beginne (Initialstadium), auf der Höhe des Fiebers und endlich 
nach dessen Abfall (Deferveszenzstadium) sehen wir geistige Störungen 
plötzlich einsetzen, die den Ausdruck einer akuten Schädigung des Ge- 
hirns durch Bakteriengifte bilden. 
Unabhängig von der speziellen Form der körperlichen Erkrankung 
(Grippe, Typhus, Scharlach, Pocken, Rose, KindbettfGeber usw.) ent- 
wickeln sich Unruhe, Reizbarkeit, Aufschrecken aus dem Schlafe, Phanta- 
sieren im Traume, allgemeine Erregung. Unmerklich vollzieht sich von 
hier der Übergang zu den eigentlichen Infektionspsychosen. Wir können 
da 3 Hauptgruppen unterscheiden. 
1. Beim Fieberdelir treten zu der allgemeinen Übererregbarkeit 
gegen Licht und Geräusche, zu dem ungewollt lebhaften Gedankengange 
mit Wiederauftauchen alter Erinnerungsbilder allmählich ausgesprochene 
Illusionen und Halluzinationen. Die Gegenstände im Zimmer ver- 
zerren sich zu gespenstigen Spukgestalten, Tiere und Personen scheinen 
den Kranken zu umgeben. Das Klingen und Rauschen im Ohre formt 
sich zu flüsternden und rufenden Stimmen. Es entwickelt sich ein 
traumhaft benommener Zustand mit Verlust der Orientierung. 
(Siehe S. 150.) Angstliche oder verzückte Erregungen führen zu ver- 
kehrten Handlungen. Die Dauer beträgt meist nur Stunden oder Tage, 
seltener Wochen. 
2. Die schwerere Form der Amentia ist schliesslich nur grad- 
weise verschieden und bietet zu den Delirien fliessende Übergänge. Aus 
dem geschilderten Stadium nervöser Beschwerden heraus entwickelt sich 
völlige Zusammenhanglosigkeit des Gedankenganges mit Verwirrtheit, 
Ratlosigkeit, massenhaften Sinnestäuschungen auf allen Ge- 
bieten und rasch wechselnden Wahnideen. Der Kranke ist völlig 
unorientiert, oft hochgradig erregt, dann wieder gesperrt, zeigt lebhaften 
und unbeständigen Affekt, führt unzusammenhängende Reden, neigt zu 
plötzlichen, sinnlosen Verkehrtheiten. Wochen und Monate hält dieser 
Zustand unter mannigfachen Schwankungen an, bis sich allmählich unter 
Nachlassen der Bewegungsunruhe Aufhellung anbahnt. Einzelne Wahn- 
vorstellungen, zumal im Sinne der Beeinträchtigung können noch längere 
Zeit festgehalten werden, ehe sich volle Krankheitseinsicht einstellt. Nur 
selten kommt es zum Ausgang in bleibenden geistigen Zerfall. 
3. Ungewöhnlicher ist die Verbindung der Verwirrtheit mit vor- 
wiegend stuporösem Verhalten. Dauernde traumhafte Benommenheit 
mit nur geringer Bewegungsunruhe zeichnet besonders tödlich verlaufende 
Fälle schwerster Infektionen aus. 
4. Endlich ist das Zurückbleiben geistiger Schwächezustände 
nach akuten Infektionskrankheiten zu erwähnen. Auffallende Herab- 
setzung der Merkfähigkeit bei eigentümlich apathischem oder 
reizbar weinerlichem Wesen mit sinnlosem Widerstreben und nächtlicher 
Unruhe sind für diese Form der infektiösen Geistesstörung charakteristisch. 
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