Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Epileptische Geistesstörungen. 3 
wickelt sich ein schwerer körperlicher und psychischer Krankheitszu- 
stand. Die Auslösung des Anfalls durch seelische Erregungen, wie 
Arger, wird gelegentlich auch bei Epileptikern beobachtet, doch spricht 
ein regelmässiger Nachweis solcher Zusammenhänge mehr für Hysterie 
oder Affektepilepsie, wie umgekehrt Fehlen jeder äusseren Veranlassung 
und Auftreten des Anfalls im Schlafe genuine Epilepsie wahrscheinlich 
machen. Die Art der postparoxysmellen Bewusstseinstrübung und des 
zurückbleibenden Erinnerungsausfalles wird manchmal für die Beurteilung 
den Ausschlag geben. 
Neben dem grossen ist wichtig der kleine Anfall (petit mal): 
Plötzliche Zustände flüchtiger Geistesabwesenheit (absence), richtige Be- 
wusstseinspausen können sich bei Epileptikern jederzeit einstellen, ihre 
Tätigkeit jäh unterbrechen. Manchmal blickt der Betreffende nur für 
Augenblicke starr vor sich hin, um sich gleich wieder unbefangen der 
bisherigen Beschäftigung zuzuwenden, ohne von der entstandenen Lücke 
zu wissen. Solche Anfälle wirken besonders auffällig, wenn sie mitten 
in eine angeregte Unterhaltung, Vortrag, Klavierspiel hineintreffen. Bis- 
weilen sind sie von Zuckungen begleitet und nähern sich fast dem Bilde 
eines rudimentären Krampfanfalles: Es geht ein Ruck durch den Körper, 
der Kranke knickt in die Knie oder schleudert einen gerade gefassten 
Gegenstand im Bogen von sich. In anderen Fällen handelt es sich um 
einfache Bewusstseinstrübungen verschiedener Stärke und Dauer: Der 
Kranke empfindet nur Schwindel, sieht alles wie durch einen Schleier, 
hat sonderbare Gefühle, Halluzinationen, Denkstörungen, macht in der 
begonnenen Tätigkeit unbegreifliche Fehler. Das Ganze wirkt wie eine 
Art Aura, auf die kein Anfall folgt. Mit. zeitlicher Ausdehnung der- 
artiger Zustände entstehen jene wichtigen Aquivalente des epileptischen 
Anfalles, ‚welche wir als Dämmerzustände zu bezeichnen pflegen 
(Seite 155). 
Die häufigen akuten transitorischen Geistesstörungen der 
Epileptiker gehen Krampfanfällen vorauf (präparoxysmell) oder schliessen 
sich an sie an (postparoxysmell) oder stellen unabhängige, dem Anfall 
gleichwertige Krankheitserscheinungen (Aquivalente) dar. Sie können 
jederzeit unvermittelt einsetzen und Stunden bis Wochen, selten Monate 
dauern. Hier lassen sich dem Bilde nach abgrenzen: 
1. Verstimmungen: Depression, zornige Gereiztheit, seltener 
ekstatische Gehobenheit überfällt plötzlich den Kranken, erschwert oder 
erleichtert den Ablauf seiner Gedanken und Bewegungen, entlädt sich 
in Angstausbrüchen mit Selbstmordneigung, brutalen Gewalthandlungen, 
Tobsuchtszuständen. Einzelne Halluzinationen, triebartige Stereotypien, 
hypochondrische Sensationen können eine Rolle spielen. Beziehungs-, 
Verfolgungs-, Grössenwahnvorstellungen lassen vorübergehend paranoide 
Krankheitsbilder erwachsen. Seltener sind Zwangsvorstellungen und 
katatonische Zustände. In der Verstimmung melden sich gerne trieb- 
artige Erscheinungen wie impulsives Fortlaufen, das von dem psycho- 
pathischen Wandertrieb kaum abzutrennen ist. (Seite 189.) 
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