Full text: Kurzgefasstes Lehrbuch der gerichtlichen Psychiatrie für Mediziner und Juristen

Traumatische Geistesstörungen. 75 
Negativismus das Zustandekommen eines katatonischen Zustands- 
bildes (Seite 140). 
Endlich vermag nach schwerer Kopfverletzung mit Gehirnschädi- 
gung trotz äusserer Besonnenheit eine dauernde Abnahme der intellek- 
tuellen Fähigkeiten zurückzubleiben. Diese Dementia posttraumatica, 
welche bereits auf Seite 178 Erwähnung gefunden hatte, kann durch 
Abschwächuhg der geistigen Regsamkeit, von Urteil und Gedächtnis so 
sehr der Dementia paralytica gleichen, zumal auch Pupillenstörungen 
traumatisch bedingt vorkommen, dass nur Untersuchung der Rücken- 
marksflüssigkeit (Seite 98) eine Unterscheidung ermöglicht. 
Schwierig wird die Beurteilung leichterer geistiger Schwächezustände, 
falls sie sich nicht aus der Bewusstlosigkeit der Hirnerschütterung oder 
dem Delirium traumaticum unmittelbar herausentwickelt haben, sondern 
erst nach längerer Zeit in Erscheinung traten bezw. bisher übersehen 
wurden. Vielleicht fällt der Umgebung nur eine gewisse Stumpfheit 
und Schwerfälligkeit im Denken auf, oder der Kranke klagt selbst über 
geringere Leistungsfähigkeit, Vergesslichkeit, Neigung zu unüberlegten 
Handlungen, zeigt aber im übrigen lediglich eine missmutige nieder- 
geschlagene Stimmung. Bei Straftraten solcher Traumatiker ist natürlich 
der Umfang der Demenz in erster Linie festzustellen. Allein es muss 
auch der erhöhten Reizbarkeit und Widerstandsunfähigkeit gegen Alkohol 
Rechnung getragen werden. (Pathologischer Rausch Seite 160.) 
Gerade diese explosive Diathese, wie sie erfahrungsgemäss 
nach schweren Kopfverletzungen auch ohne Ausbildung eigentlicher 
Demenz vorhanden sein kann, ist praktisch von hoher Bedeutung. (Vergl. 
S. 94.) Gelegentlich verbindet sich die krankhafte Reizbarkeit weiter 
mit epilepsieähnlichen Zügen, mit Schwindelanfällen, Verstimmungen 
und Dämmerzuständen, so dass man von einer traumatischen Epi- 
lepsie reden könnte. 
Mit grosser Vorsicht ist die Behauptung zu prüfen, dass ohne Aus- 
bildung aller oben geschilderten Verhältnisse nach einer Kopfverletzung 
ausschliesslich eine ethische Charakterdegeneration mit früher nicht be- 
obachtetem Hange zu kriminellen Handlungen sich eingestellt haben 
soll. Sicherlich ist es denkbar, dass ein in der Entwickelung begriffenes 
jugendliches Gehirn durch traumatische Schädigung in der normalen Aus- 
reifung behindert wird, oder dass schon leichte Abschwächung der 
intellektuellen Fähigkeit die bisherige Beherrschung des Trieblebens stört 
und unsittliche Neigungen hemmungsloser hervorbrechen lässt. Immer 
jedoch ist von Fall zu Fall der behauptete Zusammenhang zwischen 
Trauma und Charakterveränderung sorgsam zu prüfen. Zeitlich weit 
zurückliegende Kopfverletzungen, die jahrelang keinerlei 
krankhafte Erscheinungen hinterlassen hatten, dürfen 
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